Obsession
Antwort, die er erhielt, schien
ihn zu enttäuschen.
|377| «In Ordnung, dann gehen Sie.» Er deutete mit dem Daumen Richtung Straße.
«Sind Sie sicher, dass Sie mich nicht verhaften wollen?», entgegnete Ben in einem Anflug von Sturheit.
Der Polizist starrte ihn an wie einen Psychopathen. «Ich werde es Ihnen nicht noch einmal sagen.»
Ben schaute ein letztes Mal den Berg hinab und ging dann zurück zu seinem Wagen.
Er fuhr ins Atelier, obwohl die Aufnahmen abgesagt worden waren. Nachdem er aufgeschlossen hatte und hineingegangen war, fiel
ihm ein, dass er vielleicht etwas vorsichtiger sein sollte. Cole hatte bereits seine Frau getötet, und Ben machte sich keine
Illusionen darüber, was passieren würde, wenn er ihm wieder begegnete. Doch er konnte die Bedrohung für ihn selbst nicht ernst
nehmen. Er bezweifelte nicht, dass Cole ihn umbringen würde, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bot, aber er wusste auch,
was dem Mann am wichtigsten war.
Jacob.
Er versuchte sich zu sagen, dass es keinen Anlass zur Sorge gab. Cole war nur ein einzelner Mann und durch sein Hinken weder
unauffällig noch besonders beweglich. Obwohl er ein ehemaliger Soldat war, würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis man
ihn schnappte. Und dann würde man neu darüber verhandeln müssen, bei wem Jacob leben sollte. Denn niemand konnte mehr leugnen,
dass Cole das Recht auf seinen Sohn verwirkt hatte.
Allerdings gelang es Ben nicht, sich selbst davon zu überzeugen, dass es so einfach sein würde.
Er beschäftigte sich mit Arbeiten, zu denen er sonst nie kam, überprüfte die Vorräte seiner Dunkelkammer und erledigte kleinere
Reparaturen, alles nur, um sich irgendwie |378| abzulenken. Er hätte fast damit begonnen, das gesamte Atelier aufzuräumen, als er sich an den Film erinnerte, den er auf dem
Friedhof verschossen hatte.
Er erwartete nicht viel von den Aufnahmen, aber indem er den Film entwickelte, hatte er wenigstens etwas zu tun. Schon nach
den ersten Abzügen sah er, dass der Film fehlerhaft gewesen war. Das kam gelegentlich vor. Die Belichtung stimmte nicht, und
die Farben waren so trübe und schlecht aufgelöst, dass die Blumen kaum zu erkennen waren. Vor diesen abstrakten Farbklecksen
sah der Maschendraht des Müllbehälters wie ein verschwommenes geometrisches Muster aus. Verärgert warf er die Abzüge weg.
Dann schaute er noch einmal hin. Er hob sie auf und betrachtete sie aus verschiedenen Blickwinkeln.
Eigentlich ist es ein ziemlich interessanter Effekt, dachte er und machte auch von dem Rest Abzüge.
Jetzt sprach ihn gerade die Undeutlichkeit der Bilder an. Die alltäglichen Gegenstände wirkten plötzlich weniger konkret und
gleichzeitig wesentlich lebendiger. Statt die Wirklichkeit abzubilden, deuteten diese Bilder sie lediglich an. Sie riefen
ein vages Gefühl von Vertrautheit hervor und widersetzten sich zugleich dem Wiedererkennen. Er überlegte gerade, wie er diesen
Effekt absichtlich hervorrufen könnte, als sein Handy klingelte.
Beim zweiten Klingeln hatte er es gefunden.
«Hallo?», meldete er sich atemlos.
«Ist dort Mr. Murray?»
Er erkannte die Stimme des Polizeiinspektors.
O Gott,
bitte. Hoffentlich haben sie ihn erwischt.
«Ja.»
Die Hoffnung auf eine gute Nachricht wurde schnell zerstört. «Es tut mir leid», begann der Inspector, und plötzlich wollte
Ben den Rest nicht mehr hören.
|379| «Cole hat sich heute Nachmittag gewaltsam Zutritt in die Schule verschafft», fuhr die belegte Stimme des Polizisten fort.
«Er hat seinen Sohn mitgenommen.»
Es wurde im Fernsehen gezeigt. Die Schultore und dahinter das Backsteingebäude der Schule. Weinende Kinder, die von Erwachsenen
weggeführt wurden. Augenzeugenberichte, ein Polizeiwagen, dessen Heck eingedellt war. Eine verrostete und verbeulte Stoßstange
am Bordstein, Glassplitter.
Der Inspector hatte sich gerechtfertigt. Er hatte direkt vor dem Haupttor einen Streifenwagen mit zwei Beamten postieren lassen.
Sie waren gewarnt worden, wie gefährlich Cole war, und hatten den Befehl erhalten, kein Risiko einzugehen und Hilfe zu rufen,
sobald sie ihn erblickten.
Doch dann war mit quietschenden Reifen ein rostfarbener Escort um die Ecke gejagt und hatte ihren Wagen gerammt. Ehe er zu
schaukeln aufgehört hatte, war Cole mit einer Schrotflinte aufgetaucht und hatte Funkgerät und Armaturenbrett in Einzelteile
zerlegt. Dem ersten Polizisten hatte er den Gewehrkolben ins Gesicht geknallt, dem
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