Occupy Economics
Produktion, aufgefangen werden. Das Effizienz-Credo der liberalen Theoretiker verläuft im Sande. Die positiven Auswirkungen des Effekts haben spätestens dann ein Ende, wenn die Industrie weitgehend monopolisiert ist, wie das in den USA der Fall ist. »Amerika verfällt im Schnelldurchlauf«, sagte der US-Schriftsteller Gary Shteyngart am 29. Juli 2011 in einem Tagesschau-Interview. Die USA befinden sich mit dem kollektiven Wettbewerbsrecht wirtschaftlich auf einer Spirale nach unten – auch wenn die sogenannten Konjunkturbarometer ab und an anderes aussagen.
Man kann auch sagen: Das Anprangern der Ungerechtigkeit durch die occupy-Bewegung, der Ruf der occupy-Bewegung nach Gerechtigkeit – »Wir sind die 99 Prozent!«, ist nichts anderes als der Ruf der DDR-Bevölkerung – »Wir sind das Volk!« –, mit dem sie die Mauer, den Eisernen Vorhang niedergerissen und dem grausamen Sozialismus ein Ende bereitet hat. Der Unterschied ist, dass die Mauern des Sozialismus II nicht so offensichtlich sind. Denn durch die sozialen Schieflagen bauen sich viele kleine »Mauern« auf, Mauern um bewachte Wohnareale, Ausgeschlossenheit durch verriegelte Türen, Verstecke des Wohlstands durch verdunkelte, gepanzerte Limousinen. Es ist das System, das strukturell Ungerechtigkeit erzeugt, das der Berichtigung bedarf. Nicht anders lässt sich der Erfolg der Piraten beim Wähler begründen, der mit den Internet-Spinnereien der Piraten gar nichts am Hut hat. Ihre Wähler sehen die Chance, dass sich in der neuen Partei das Thema Gerechtigkeit neu verwirklichen lässt, obwohl das Wort Gerechtigkeit in den formulierten Zielen nicht vorkommt, lediglich das »Recht auf eine sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe«. Sie wollen »Armut verhindern, nicht Reichtum«, womit sich ihre Zielsetzung sympathisch von den Zielen des Sozialismus und des Kompetitionismus absetzt und zugleich das Thema Armut beinhaltet.
Und das zu Recht, denn Deutschland folgt dem Trend zur Ausweitung des Prekariats, weil das im Jahr 1958 eingeführte amerikanische Kartellrecht sich seit Mitte der 1990er-Jahre verstärkt durchsetzt, insbesondere ausgelöst durch das Erstarken der EU-Wettbewerbskommission. Schuld daran sind ihre Protagonisten Ludwig Erhard und Franz Böhm, aber auch deren geistige Väter, insbesondere Walter Eucken, der in seiner Aversion gegen Marktmacht, im Bereich der Industrie also wirtschaftlichen Reichtum, im Kartellverbot das richtige Mittel zur Regelung der Märkte zu erblicken glaubte. Dementsprechend hat Ludwig Erhard das Kartellrecht bei seiner Einführung in Deutschland im Jahr 1958 als »Herzstück« der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet. Das war möglich, weil er und seine ordoliberalen Mitstreiter systematisch als »Väter der Sozialen Marktwirtschaft« ausgebaut worden waren. Der Neustart nach 1946 wurde als »Die Stunde Null« bezeichnet, was sie wegen der Kontinuität im Wirtschaftssystem eben nicht war.
Als ein Beispiel für viele nachfolgend ein Zitat aus der Veröffentlichung Soziale Marktwirtschaft der Ludwig-Erhard-Stiftung von Willy Kraus aus dem Jahr 1990 aus Anlass der Wiedervereinigung Deutschlands. Darin heißt es auf Seite 26 f.:
»Zu den Wegbereitern der Sozialen Marktwirtschaft zählen einmal die neoliberalen Sozialökonomen Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke, die wesentlich zur Erarbeitung der sozial-philosophischen Grundlagen beigetragen haben. Im Mittelpunkt des Weltbildes steht der Mensch als vernunftbegabtes Wesen, der das Recht auf freie Entfaltung hat, dies allerdings nicht auf Kosten anderer. … Eine zweite Verbindungslinie führt zu den wirtschaftspolitischen Auffassungen der Freiburger Schule mit Franz Böhm und Walter Eucken. Das Grundanliegen dieser ›Ordoliberalen‹ besteht darin, die Formen, in denen gewirtschaftet wird, nicht den Teilnehmern am Wirtschaftsprozess nach deren Gutdünken zu überlassen. Dem Staat wird vielmehr die Aufgabe zugewiesen, das institutionelle Rahmenwerk, die Ordnung, in der gewirtschaftet wird, zu beeinflussen. Er soll demnach ›Ordnungspolitik‹ betreiben, also die Bedingungen setzen, unter denen sich eine funktionsfähige menschenwürdige Wirtschaftsordnung entwickelt. Der Staat hat den Rahmen für eine Wettbewerbsordnung festzulegen und diese laufend zu sichern. Unter den Bedingungen des freien Marktzuganges und der Verhinderung monopolistischer Praktiken können die Teilnehmer am Wirtschaftsprozess eigenständige Entscheidungen treffen, während der Markt ihre
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