Occupy Economics
Pläne zum gesamtwirtschaftlichen Prozess koordiniert.
All diese Strömungen sind in das Konzept, das Leitbild Soziale Marktwirtschaft eingeflossen, das seine wesentliche Ausformung schließlich durch Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack erhalten hat. Sie haben die theoretisch-geistigen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft geschaffen …«
Da kann man nur anmerken: Das stimmt doch wohl so nicht ganz.
1.3 Schlussfolgerungen
Alle Sozialsysteme sind menschengemacht, sind erdacht oder aus Erfahrung geboren. In der Realität sind die reinen Systeme kaum zu finden beziehungsweise gescheitert, der Liberalismus (Manchester-Kapitalismus) genauso wie der marxistische Sozialismus. In der Realität finden sich Mischsysteme, die im einen oder anderen Fall dann noch durch spezielle staatliche Strukturen geprägt sind, wie beispielsweise im zentralistisch angelegten Frankreich. Aber im Kern sind alle staatlichen Sozialsysteme gemischte Systeme, in denen sich die genannten vier Systeme (Liberalismus, Sozialismus, Soziale Marktwirtschaft sowie die verschärfte Wettbewerbswirtschaft à la USA) mit unterschiedlicher Gewichtung wiederfinden.
Das scheinbar erfolgreichste System der vergangenen 120 Jahre schien lange Zeit das US-amerikanische System zu sein. Seine Rezeptur bestand aus dem klassischen Liberalismus, der dann ab dem Jahr 1891 durch das kollektive Wettbewerbsrecht angereichert beziehungsweise verschärft wurde. Die Konzentration auf den Wettbewerbsgedanken ist dort dann in mehr als 120 Jahren zu einem Kampf aller gegen alle ausgeartet und hat den Manchester-Kapitalismus überflügelt, Stichwort: Raubtier-Kapitalismus.
In Deutschland war der reine Liberalismus seit Bismarck überwunden und durch einen dritten Weg ersetzt. Aus der vielfältigen Kombination von Systemen privater und staatlicher Solidarität (Verbände, Kartelle, Gewerkschaften, Sozialgesetze) entwickelte sich im 20. Jahrhundert ein sozialer Kapitalismus mit sinkender Ausbeutungsrate (dann aber gigantischer Missbrauchsrate durch die Nazis), von Müller-Armack schließlich seit 1942 (anfangs natürlich heimlich) Soziale Marktwirtschaft genannt. Auf Betreiben der Ordoliberalen kehrte im Jahr 1958 der Liberalismus offiziell nach Deutschland zurück, allerdings nicht in der traditionellen Form, wie er ohnehin in der Sozialen Marktwirtschaft verankert ist, sondern in der verschärften Form des amerikanischen kollektiven Wettbewerbsrechts, des Kartellrechts. Das hatte anfangs andere Auswirkungen als in den USA, denn die kraftvoll und dynamisierend wirkende Kombination der seit der Kaiserzeit etablierten konsensorientierten, solidarischen Marktwirtschaft mit dem neuen Liberalismus, den neuen wirtschaftlichen Freiheiten, befördert durch das kollektive Wettbewerbsrecht, hob Deutschland in den darauffolgenden Jahrzehnten wirtschaftlich an die Spitze der Industrienationen. Der Zwang zu mehr Effizienz bewirkte die Konzentration der Wirtschaft und schuf herausragende »Global Player«. Die Entwicklung war eingebettet in die Liberalisierung des Welthandels (WTO) und erzeugte eine Konzentrationsbewegung bis hinein in die mittelständische Wirtschaft.
Die erhöhte Effizienz durch Konzentration in Verbindung mit der seit Langem etablierten Produktqualität »Made in Germany« gipfelte auch im viel zitierten Schlagwort »hidden champions« und schuf im Laufe der Jahrzehnte eine viel beneidete globale Schlagkraft. Letzteres war allerdings nicht nur mit einer Konzentrationsbewegung verbunden, sondern auch mit einer Branchenspezialisierung auf technische Großprodukte (Maschinen, Autoindustrie). Ganze Branchen wurden quasi »geopfert« (Textil, Porzellan, Handy-Produktion et cetera) und mit ihnen gigantische Erfahrungspotenziale der arbeitenden Bevölkerung. Die Opferung sinnvoller und Sinn füllender Tätigkeiten auf dem Altar der Effizienz durch globale Arbeitsteilung spiegelt sich im Frust und Protest der Piraten und ihrer Wähler wider. Die seit zwanzig Jahren zu beobachtende, dramatische Öffnung der Einkommensschere ähnelt mit zeitlicher Verzögerung der der USA, wobei in Deutschland die Bedingungen, den sozialen Abstieg aufzuhalten, durch die starken privaten und staatlichen Solidarsysteme wesentlich besser waren und immer noch sind. Ein neuer theoretischer Ansatz ist gefragt, um die alten Stabilisierungselemente richtig einzusortieren, sie in Schranken zu weisen, sie zu korrigieren oder ganz zu eliminieren. Deshalb: occupy economics!
2 Der Ausschnitt der vier
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