Occupy Economics
Gesetzmäßigkeiten. Um nur einige Produkte zu nennen: Milch, Stahl, Produktionsmaschinen, Automobile, Reifen, Benzin, Pharma, Fensterglas, Fassaden, Hochbau, Textilien, Schuhe, Taschen, Strom, Kraftstoffe, Haushaltsgeräte, Baustoffe, Betonteile, Matratzen, Gase, Häuser, Möbel, Süßwaren, Lebensmittel et cetera. Es werden wohl circa 500 000 Produkte oder mehr sein und ebenso viele Märkte. So unterschiedlich die Behandlung der Produkte bei ihren Nutzern, den Haushalten und Betrieben ist, so unterschiedlich strukturieren sich die Märkte. Betriebswirtschaftliche Argumente der Qualität, der risikofreien Herstellung, Lagerung und Verteilung, der regionalen Präferenz und Begabung (Krabbenkutter an der Nordsee, Autohersteller im Schwabenland et cetera) tauchen in den aktuellen Theorien nicht auf, werden ignoriert. Die Volkswirtschaftslehre ignoriert die Vielfalt der Produkte und die Unterschiedlichkeit der Märkte, träumt von einer vollständigen Information und schert sie über einen Kamm, hat für alles nur ein Modell.
Die Angebots- und Nachfragekurve ignoriert zum Beispiel auch die zeitliche Komponente, die im täglichen Marktgeschehen manchmal die allergrößte Bedeutung hat: Früchte, die morgens um sechs auf dem Großmarkt nicht verkauft werden, sind wertlos, auch wenn sie zwei Stunden vorher noch für fünf Euro je Kilo angeboten wurden. »Mode ist wie Frischobst«, sagte einst der deutsche Modekönig Eickhoff. Das reine Skigebiet hat außerhalb der Wintersaison keinen Marktwert. Das Restaurant ist morgens leer, Bahnhöfe und Flughäfen nachts, gewichtige Investitionsgüter haben eine lange Lebensdauer, ihre Produzenten sind immer die ersten Opfer einer Krise, weil sich die Investitionen verschieben lassen, die Zeitung von gestern ist auch Schnee von gestern. Die Lehre träumt von vollständigem Wettbewerb und vollständiger Transparenz. Nicht einmal der Kaufmann selbst hat vollständige Transparenz! Und vollständige Konkurrenz macht jede Arbeitsteilung sinnlos. Denn Arbeitsteilung soll Knappheiten ausgleichen beziehungsweise beseitigen. Bei einer quasi unbegrenzten Vielzahl von Anbietern gibt es keine Knappheiten mehr. Da können doch nur wieder ganz viele nach Hause gehen und sich andere Angebote überlegen, weil es ohne Knappheit nichts zu verdienen gibt.
Die Zahl der Produkte, vor allem der Endprodukte, ist begrenzt. Betrachten Sie ein Einfamilienhaus und seinen Inhalt beziehungsweise seinen Verbrauch. Da haben Sie alles zusammen. Und für jedes einzelne Teil gibt es schon immer viele Anbieter. Und darüber hinaus ist es nicht so einfach, ein produziertes Produkt auszuwechseln. Der Bauer kann auf einem Feld unterschiedliche Früchte anbauen, aber eben auch nur das. Wenn sich Landwirtschaft nicht mehr lohnt, kann er doch nicht anfangen, Sportwagen zu bauen, selbst wenn die gerade knapp sind. Aber genau das verlangt der Volkswirt. Die Menschen werden durch Effizienzsteigerung freigesetzt und können sich neuen Aufgaben widmen, dadurch steigt in der Summe der Wohlstand, sagt er. Da ist natürlich auch etwas Wahres dran, aber das Entscheidende ist zum einen die betriebswirtschaftliche, also die tatsächliche Bewältigung der Umstellung, und zum anderen die bereits erörterte Frage, ob das zahlenmäßige Wachstum eine Steigerung des Wohlstands ausmacht oder eine Verringerung. Denn wer seine berufliche Aufgabe verliert, verliert nicht selten seinen Lebensinhalt oder die Identität einer Region oder das seit Jahrhunderten aufgebaute, wunderbare Know-how.
Die Modelltheorien fassen das kaufmännische Leben in Geldwerten zusammen, weil sie es nicht anders zusammenfassen können. Die Gewerbetreibenden erleichtern es ihnen, weil sie alles in Geldwerten festhalten und dadurch der Schein entsteht, dass wir es hier mit der Realität zu tun haben. Der Lehre fehlt die Bescheidenheit zu sagen: was wirklich passiert, können wir nicht in Zahlen fassen, sondern nur beschreiben. Stattdessen hat sie ein Zauberwort erfunden: ceteris paribus, alles andere bleibt gleich. Dann findet sich die Realität auf einer Linie wieder, wo eigentlich ein ganzes Büschel oder Bündel gezeichnet sein müsste. Weil nirgendwo irgendetwas gleich bleibt, ist die Anwendung der ceteris-paribus-Klausel jedoch generell unzulässig. Die hier formulierte Kritik an den Modelltheorien ist übrigens uralt und wurde einst Methodenstreit genannt.
Der Methodenstreit ging für die Historische Schule genauso verloren, wie der Erste Weltkrieg für
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