Occupy Economics
verhöhnen. Natürlich gibt es ihn, den armen Verbraucher. Den muss man nicht erfinden, wir haben schließlich ein wachsendes Prekariat durch die Öffnung der Einkommensschere. Aber es ist doch Unsinn zu glauben, dass der Kaufmann den armen Kunden reich machen kann, indem er ihm etwas billig verkauft? Wenn es in Deutschland und wahrscheinlich auch anderswo eine wachsende strukturelle Armut gibt, dann kann das nicht daran liegen, dass die Kaufleute zu teuer verkaufen. Das liegt doch vielmehr daran, dass sie zu wenig verdienen, dann Leute entlassen, Billiganbieter gründen (Airlines), oder pleitegehen (Schlecker).
Die Einnahmen des Kaufmanns, sein Umsatz, kommen seinem Hinterland zugute, seinen Mitarbeitern, seinen Lieferanten, seiner Region. Wenn er an der Front ein Opfer bringt, eine soziale Wohltat in Form von Niedrigpreisen gewährt, wird das zwangsläufig nach hinten weitergereicht. Am Ende erreicht es denjenigen, der sich den billigen Einkauf gewünscht hat. Die Leute im Hinterland werden doch ausschließlich dann wohlhabend, wenn vorne an der Front etwas verdient wird, wenn Margen realisiert werden, das heißt viel Gold eingesammelt wird, was nach hinten weitergereicht wird. Der Gedanke ist doch naheliegend, dass der Margen-Druck die Einkommen im Hinterland mindert, dass dadurch die Gerechtigkeit in der Einkommensverteilung leiden muss, und dass so das Prekariat entsteht. Das kann doch kein Kaufmann durch soziale Wohltaten aufhalten, nicht einmal eine ganze Branche, die nur noch niedrigpreisige Ware anbietet, kann das. Derlei führt doch zwangsläufig in die Armut. Deshalb geht nichts über ein Hochlohnland. Wer hohe Löhne bezieht – und erst recht hohe Einkommen – kann doch auch hohe Preise bezahlen. Das alles hier sind doch am Ende Überlegungen, mittels derer es den Menschen besser gehen soll. Da wird nichts weggenommen, sondern dazugegeben.
Was den ärmeren Menschen fehlt, ist das Gold in der Tasche. Die Frage ist doch nicht, wie halte ich die Preise niedrig, sondern wie halte ich die Einkommen hoch. Hier sind wir bei der Einkommensgerechtigkeit, die wir mit Bezug auf Herrn Ackermann, aber auch durch die Erwähnung der Gewerkschaften, schon einmal angerissen haben. Das Thema lautet bei uns Soziale Marktwirtschaft, weil sie Systeme des sozialen Ausgleichs beziehungsweise auch Gleichgewichts beinhaltet, nämlich Solidarsysteme und Sozialgesetze. Es ginge zu weit, wenn wir das jetzt im Einzelnen auch noch ausführen würden. Aber grundsätzlich kann man sagen, wenn die Menschen mit etwas mehr Geld/Gold in der Tasche über die Märkte schlendern würden, dass sie dann auf jeden Fall weniger zu Aldi gingen, weil ihnen andere Angebote vielleicht nicht unbedingt von der Produktqualität her, aber sicherlich an Vielfalt und Service eine ganz andere Qualität bieten.
Wenn wir das Marktgeschehen bisher als juristische und buchhalterische Veranstaltung gesehen haben, dann ist das zwar der ökonomische Rahmen, der gesteckt wurde, aber das Marktgeschehen hat doch mit mehr zu tun als mit Buchungssätzen. Wenn wir in ein Croissant beißen oder einen Schluck Wein trinken, dann spielen die Ökonomie, also das Bezahlen, und die Ökologie, also der Energieverbrauch, zwar ein Rolle, aber das Wichtigste an beiden Produkten ist ihre Qualität, ihr wahrer Inhalt und dessen Ausdruck, der Geschmack, die Anmutung, das Kauferlebnis, die Verlässlichkeit, die Reinheit. Was hilft es, wenn der Wein billig ist und nach Essig schmeckt, oder die Wohnung billig, aber zu laut, oder wenn ein Kleid zwar passt, aber modisch zehn Jahre zurückliegt? Wir legen an unterschiedliche Produkte unterschiedliche Maßstäbe an, und nicht nur das. Ein jeder hat andere Prioritäten, andere Geschmackssensoren, andere finanzielle Möglichkeiten. Deshalb reicht es bei Weitem nicht aus, dass der Kaufmann, der Unternehmer, rechnen kann, dass er mit Geld umgehen kann. Es kommt noch eine zweite, eine substanzielle Seite hinzu, die die Sache farbig und unendlich vielfältig macht.
Und auch hier setzt meine Kritik an den bestehenden volkswirtschaftlichen Theorien an. Sie erfassen in keiner Weise, was Wirtschaft eigentlich ist. So wenig die Finanzrechnung für das realwirtschaftliche Haushalten ausreicht, umso eindrucksvoller sind doch die strukturellen Unterschiede der Märkte. Man denke an die tausend Reissorten in Thailand oder die zweitausend Käsesorten in Frankreich. Jedes Produkt hat eigene Märkte, jede Branche hat ihre Eigenheiten, ihre
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