Occupy Economics
Gott-gegebene könnten wir nicht leben, wäre sofort alles zu Ende. Was ich damit sagen will: Das Kommerzielle ist in unserem Bewusstsein viel zu sehr in den Mittelpunkt gerückt. Die Märkte sind ein winziger Pups gegen die Allmacht von Wind, Wetter und Meereswellen. Wir haben uns mithilfe der Technik und der Segnungen der Arbeitsteilung von den Unbilden der Natur befreit, wir sterben kaum noch jung, frieren kaum noch, hungern kaum noch (jedenfalls in unseren Breiten) und nehmen dafür in abenteuerlichem Umfang Eingriffe in die Natur in Kauf, eben mit viel zu wenig Beachtung des Wertes an sich, den die Dinge wirklich haben, das Meer, die Berge, die Flüsse und Seen, die Landschaften.
Bei der Betrachtung quasi fest eingeschweißter Mastschweine, vollgekoteter Lachsfarmen, fettleibiger Mastkühe, künstlicher Giftseen für die Aufbereitung von Öl aus Ölsand und riesiger, auf dem Meer schwimmender Plastikinseln, erkenne ich nur noch eine gigantische Respektlosigkeit und den Verlust des Verständnisses vom Wert an sich. Und meine Vermutung ist, dass dahinter unter anderem die ökonomischen Theorien stecken, meine Vermutung ist aber auch, dass das unter anderem buchhalterische Gründe hat. Wer alles in Zahlen ausdrückt, hat am Ende nur noch Respekt vor Zahlen. Aber mit ihnen lassen sich nur bedingt Wissen, Weisheit, Durchblick und am Ende Ehrfurcht oder Gerechtigkeit herstellen.
Man könnte den schwarzen Peter jetzt den Kaufleuten zuschieben, weil die das Zahlensystem erfunden haben, aber das ist zu kurz gedacht. Die Kaufleute sind die Menschen, deren Beruf es ist, uns mittels Arbeitsteilung über Märkte mit Gütern zu versorgen. Die Kaufleute sind keine Denker, keine Politiker, keine Philosophen, keine Gutmenschen. Sie haben die Aufgabe, Geld zu verdienen, also für Wertschöpfung, für Geldmehrung zu sorgen. Die Kaufleute nehmen den Raum wahr, den ihr die Gemeinschaft, die Politik, lässt. Sie sind so fehlbar wie Verbraucher, die nur ihren Vorteil kennen, sie sind auch nur Menschen. Aber so, wie es keine Kindererziehung ohne Grenzen und Respekt gibt, so darf es auch sonst keine Grenzenlosigkeit und keine Respektlosigkeit geben. Schon gar nicht gegenüber der Natur, denn die Natur ist ein Wert an sich.
Nebenbei gesagt – sind auch die Verbraucher gegenüber den Kaufleuten und der Natur respektlos, wenn sie alles billig haben wollen, das heißt, sie wollen deren Leistungen fast umsonst. Dass der Schuss nach hinten losgehen muss, haben wir schon erörtert. Deshalb: Die Politiker und die Ökonomen sind schuld, weil sie sich an den Zahlen orientieren, also an den Geldwerten anstatt an den Werten, obwohl ein kleines Umdenken ja schon feststellbar ist. Sie geben den Kaufleuten und dem Kaufmännischen einen zu hohen Stellenwert. Gleichzeitig behandeln sie sie schlecht. Staat und Politik können sich vom Geldwertdenken nicht lösen, weil das Geld der einzige gemeinsame Nenner ist. Andere Werte, Arbeitslosenzahlen, Neuemissionen, Zulassungszahlen für Kraftfahrzeuge, Baugenehmigungen et cetera werden zur Kommentierung herangezogen, sind auch nicht ganz ohne Bedeutung, aber können, weil es objektiv keine Gewichtung gibt, nicht zu einem Gesamtindikator zusammengefasst werden.
6.9 Die Vielfalt der realen Wirtschaft und die Einfalt der Theorien
Zurück zum normalen Marktprozess, zum Geschäft des Kaufmannes, also des Anbieters und dem des Nachfragers, der die Märkte besucht. Mit der Vorstellung, dass die Kunden das Gold in der Tasche haben, auf das es der Kaufmann abgesehen hat, um das er sich bewirbt, bekommen wir ein anderes Gefühl für das, was den Verbraucher ausmacht. Bei uns ist der Verbraucher üblicherweise das arme Würstchen, das dem Monopolisten oder Oligopolisten gegenübersteht, auf ihn angewiesen ist und von ihm ausgebeutet wird. Die Sicht ist jedoch jetzt erst einmal ins Gegenteil gedreht. Der Verbraucher hat das wertvolle, goldwerte Universaltauschmittel in der Tasche, das ihm der Kaufmann aus der Tasche locken will. Der Goldbesitzer geht von Geschäft zu Geschäft, von Markt zu Markt und genießt seine Position als goldgekrönter »König Kunde«. Der Kaufmann ist erst mal machtlos, weil an Ware und Ort gebunden. Er hat eine Ware oder zwei oder 30 000, die er dem Goldbesitzer zum Tausch anbietet. Wenn der nicht will und das Geschäft verlässt, ohne sein Gold dazulassen, ist der Kaufmann wehrlos. Der arme Verbraucher, der zu viel bezahlt, ist deshalb eine Schimäre.
Ich will damit nicht die Armen
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