Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
paar Stunden.«
Ich betrachtete forschend sein Gesicht und war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, er solle aufhören oder mir absolut alles erzählen.
»In den ganzen Jahren, die deine Familie nach Winter Harbor gekommen ist, konnte ich es immer kaum erwarten, dich in den Sommerferien wiederzusehen. Von Anfang an haben wir uns stundenlang unterhalten können, über Bücher, Filme, Justine und Caleb … oder über nichts von Bedeutung. Es fühlte sich immer so leicht an, so vertraut, weißt du?«
Ich nickte. Das Gleiche hatte ich auch oft gedacht.
»Aber dann vor ein paar Jahren hat sich alles verändert.« Er schaute mich an. »Weißt du noch, was wir eigentlich an dem Abend tun wollten, als du deinen Schwimmunfall hattest?«
»Ja natürlich. Es war schließlich Donnerstag. Also Drive-in-Kino mit Eiscreme.«
»Genau. Aber du bist nicht gekommen … weil du im Krankenhaus lagst.«
»Wo ich dann Besuch von dir und Caleb bekam, und ihr habt einen Laptop und einen Stapel DVDs mitgebracht.«
Er senkte den Blick. »Weißt du noch, welchen Film wir geguckt haben?«
»›Schlaflos in Seattle‹. Aus Rücksicht auf meinen Zustand war Caleb bereit, eine romantische Komödie zu schauen.«
»Siehst du, das wusste ich nicht. Weil ich nämlich kein einziges Mal auf den Bildschirm geschaut habe. Ich konnte meinen Blick nicht von dir losreißen. Justine saß auf deinem Bett, mit dem Laptop auf dem Schoß, Caleb hatte sich einen Stuhl neben sie gezogen und –«
»Du hast auf der Fensterbank gehockt«, sagte ich. »Auf der anderen Seite des Zimmers, weil dir heiß war und du beim Ventilator bleiben wolltest.«
»Mir war nicht heiß, ich hatte Panik. Nie zuvor habe ich solche Angst um jemanden gehabt.«
Ich versuchte, ihn mir vorzustellen, wie er mich zwei Stunden lang durch den Raum beobachtet hatte. Für mich war die Ablenkung gerade richtig gekommen, denn sonst hätte ich nur darüber nachgegrübelt, was geschehen war. Deshalb war ich zu sehr in den Film vertieft gewesen, um Simon näher zu beachten. »Aber mir ging es gut. Sie haben mich nur zur Beobachtung im Krankenhaus behalten.«
»Vanessa … du warst vierunddreißig Minuten unter Wasser. Du hättest eigentlich nicht überleben dürfen. Erst da wurde mir klar, wie verloren ich mich dann gefühlt hätte.«
Ich streckte die Hand aus, um die Träne fortzuwischen, die ihm über die Wange lief. Er nahm meine Hand, beugte sich näher zu mir, und ich hoffte auf einen Kuss, der mir bewies, dass seine Worte und die gestrige Nacht wirklich wahr und kein Ausrutscher gewesen waren. Eine Sekunde lang glaubte ich, er würde es tatsächlich tun … aber dann presste er seine Lippen stattdessen auf meine Stirn.
»Tut mir leid«, flüsterte er. »Tut mir so leid, dass Zara mich unter Kontrolle bringen konnte. Das ist der Punkt, von dem du nichts wusstest, und der Grund, warum ich Olivers Geschichte glaube.« Er lehnte sich zurück, um mich anschauen zu können. »Ich will nicht behaupten, dass hinter dem Ganzen nicht noch mehr steckt. Wir haben keine Erklärung für das Wetter, und wir kennen die Gründe nicht, warum Zara und ihre Familie sich so verhalten. Aber ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um mehr herauszufinden. Bis wir genug wissen, um sie stoppen zu können.«
Bevor ich antworten konnte, wurde die Hintertür aufgerissen und ließ eine regennasse Windböe herein.
»Was ist passiert?« Simons Gesicht wurde hart. »Was hat Jonathan gesagt?«
Caleb ließ sich auf die Rückbank fallen und atmete schwer. Das Haar klebte ihm am Kopf, die Kleidung am Körper, und Regenwasser tropfte von seinem Gesicht, aber er schien das alles nicht zu merken.
»Jonathan hat gar nichts gesagt. Seit drei Tagen hat ihn niemand mehr gesehen.«
K APITEL 19
M agst du Blaubeeren?«
Ich stand in der Küchentür und schaute staunend in den Raum. Unser Tisch war mit geöffneten Packungen übersät, Brot, Schinken und Pfannkuchenteig bedeckten die Zeitungen darunter, und eine dünne Mehlschicht war auf dem gesamten Küchentresen verteilt, der ansonsten voller Schüsseln und Kochutensilien stand. Eierschalen lagen auf dem Fußboden und ließen Reste klarer Flüssigkeit ins Linoleum sickern.
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Mom, als ich nicht antwortete. »Ich kann mich einfach nicht erinnern, ob du Blaubeeren magst und Erdbeeren schrecklich findest oder umgekehrt. Oder vielleicht magst du beides?« Sie schaute wild um sich, als wäre die Antwort in einem der
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