Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
wirken.«
Caleb gab ein Geräusch von sich, das halb wie ein Lachen, halb wie ein Seufzen klang. »Klar. Kein bisschen ungewöhnlich.«
Er schwieg einen langen Moment, und ich dachte, er würde die Sache vielleicht noch einmal überdenken. Wie groß war schon die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihre Vermutung als wahr erwies? Aber dann öffnete Caleb die Tür und sprang aus dem Wagen. Ich sah, wie er an seinem iPod und den Ohrstöpseln herumfummelte, während er durch den Regen lief.
»Du hast natürlich recht.«
Ich schaute auf seine Hand, die meine bedeckte.
»Das Ganze klingt komplett verrückt«, fuhr er fort. »Und unter normalen Umständen hätte ich Oliver für seine Zeit gedankt und alles ignoriert, was er gesagt hat. Aber an dieser Situation ist nichts normal.« Er beugte sich zu mir vor. »Denk einmal darüber nach. Vergiss Oliver, und denk nur an alles, was du gesehen hast. An die Dinge, von denen du mir erzählt hast.«
»Ja, ich habe ein paar merkwürdige Sachen gesehen«, gab ich zu, »aber trotzdem bin ich nicht bereit, euch diese Theorie abzukaufen. Unmöglich. Die Legende von den Sirenen muss in grauer Vorzeit entstanden sein, weil die Leute bestimmte Phänomene nicht erklären oder vorhersagen konnten. Wie das Wetter zum Beispiel – früher wusste man noch nicht, wie der Mond, die Sonne und die Meere sich gegenseitig beeinflussen und dass dadurch auf natürliche Weise extreme Bedingungen entstehen können, bei denen Leute das Leben verlieren. Sirenen waren Phantasieprodukte, mit denen man etwas erklärte, das sonst unverständlich war.« Ich drückte seine Hand. »Aber du weißt es besser als die Leutedamals. Du kennst dich mit dem Wetter aus und kannst erklären, warum bestimmte Dinge passieren.«
»Vanessa, du warst doch die letzten Wochen dabei, als ich vergeblich nach einer Erklärung gesucht habe. Was hier vor sich geht, bricht alle Regeln der Naturwissenschaft.«
»Was ist mit Justine?«, fragte ich. »Sie passt nicht ins Schema. Erstens, weil sie nicht männlich war, und zweitens, weil sie nicht gelächelt hat, als sie gefunden wurde.«
»Ich glaube, sie hat Zara im Weg gestanden. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich völlig auf Caleb versteift, und als er nicht so reagierte, wie sie gerne wollte, hat sie das Hindernis beiseitegeräumt.«
Ich starrte ihn an, und meine Frustration verwandelte sich in Besorgnis. Als lebenslange Memme, die an alle Formen von nächtlichem Horror glaubte, hätte ich mich eigentlich viel eher auf solche unlogischen, irrationalen Theorien einlassen müssen. Simon dagegen war der Wissenschaftsfanatiker, der lebende Wetterkanal. Wie konnte es angehen, dass ich hier die Rolle der Skeptikerin übernahm?
»Du weißt irgendetwas.« Erst als ich es aussprach, wurde es plötzlich sonnenklar. Ich beugte den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. »Das stimmt doch, oder? Du weißt etwas, das du mir nicht verraten hast. Deshalb ergibt das Ganze für dich Sinn.«
Er schaute zur Seite.
»Simon.« Ich drückte seine Hand fester, als er sie wegziehen wollte. »Erzähl es mir. Du musst mich nicht schonen, ich kann damit umgehen.« Geduldig sah ich zu, wie er wortlos in den Regen starrte.
»Es geht um gestern«, sagte er schließlich.
»Gestern … in Springfield?«
Er nickte. »Im Wald. Als wir die beiden auf den Felsen gesehen haben.«
Ich blickte zu Boden. Vielleicht meinte Simon nicht denselben Moment, aber jedenfalls konnte ich mich problemlos erinnern, wie er Zara angestarrt hatte, als habe er vorher nicht gewusst, was Schönheit war … und als habe er mich total vergessen, obwohl ich direkt neben ihm stand.
»Zuerst konnte ich an nichts anderes denken als an Caleb. Ich habe mir Sorgen gemacht, ob und in welchem Zustand wir ihn finden würden. Als ich dann seinen Pulli an dem toten Baum hängen sah wie ein perverses Schnitzeljagdzeichen, ist mir fast der Kopf explodiert vor Angst, und ich wurde unglaublich wütend. Ich rannte in Zaras Richtung, und dabei dachte ich nur daran, was ich ihr ins Gesicht schreien und mit ihr anstellen würde. Als wir die Bäume an der Lichtung erreichten, wollte ich geradewegs auf sie losgehen.«
Ich wartete. »Okay, was ist also passiert?«
»Kann ich nicht sagen. Rein körperlich war ich immer noch auf Angriff eingestellt, aber in meinem Kopf …«
»Das ist schon in Ordnung, Simon«, sagte ich. »In deinem Kopf. was?«
»Vanessa, du musst das verstehen. Ich hatte keine Kontrolle darüber und keine Ahnung, was mit mir
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