Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
passierte … tatsächlich war ich mir nur vage bewusst, dass etwas mit mir passierte.« Er holte angestrengt Luft. »Aber als ich die beiden dort auf dem Felsen sah, wollte ich nicht mehr auf Zara losgehen … sondern auf Caleb.«
Mein Herz zog sich zusammen. »Du hattest einen emotionalen Aussetzer. Alles war zu viel für dich, und da bist du von deinen widersprüchlichen Gefühlen überwältigt worden.«
»Nein, das war es nicht.«
Er klang so ernst, dass ich keine Wahl hatte, als zumindestzu glauben, dass er es glaubte. »Aber wieso?«, fragte ich. »Warum wolltest du Caleb etwas tun?«
Er ließ den Kopf hängen, und er war so zerknirscht, als wolle er sich im Voraus dafür entschuldigen, was er gleich sagen würde. »Weil ich eifersüchtig war.«
Ich sackte gegen die Sitzlehne.
»Kaum hatte ich sie gesehen, verlor alles andere völlig an Bedeutung. Der Wald, die Suche nach Caleb, die ganzen letzten Wochen …«
»Auch ich?«, erriet ich und starrte durch die Windschutzscheibe.
»Ich konnte nichts wahrnehmen außer ihr«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Vanessa, sie hat sich so angestrengt. Sie hat alles versucht, damit ich auf sie reagiere. Und was diese Wesen tun können … die Wirkung ist unglaublich stark. Man kann es nicht wirklich als Gesang oder überhaupt als Klang bezeichnen. Es hat keine Ähnlichkeit mit dem, was wir als Kinder in Märchenbüchern über Nixenmusik gelesen haben.«
Ich schaute ihn an und hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. »Sondern?«
Er dachte einen Moment nach. »Stell dir vor, du lässt dich auf dem See treiben. Du liegst auf dem Rücken, und das Wasser umspült dich, füllt deine Ohren für einen Moment und gibt sie dann wieder frei. Abwechselnd hörst du klar und deutlich, was um dich herum geschieht, und dann ist wieder alles gedämpft. Es fühlt sich beinahe an, als würdest du zwischen zwei verschiedenen Welten schweben.«
Ich wusste genau, wovon er sprach. Selbst vor meinem Unfall hatten mich die Momente nervös gemacht, wenn ich die Klänge über Wasser nicht mehr wahrnahm.
»Ungefähr so musst du es dir vorstellen. Als würde man an der Oberfläche treiben und dann langsam, ganz sanft in dieTiefe gezogen werden. Man fühlt sich sinken, kann es nicht aufhalten, und da es so ein angenehmer Zustand ist, versucht man es gar nicht erst. Als würde man einfach aufgeben und sich vom Wasser hinabziehen lassen, bis man nichts anderes mehr hört.«
»Konntest du Zara sehen? Während du in ihrem Bann warst?«
»Ja. Aber sie war verändert. Alles hat anders ausgesehen … das Licht wirkte gleichzeitig weicher und strahlender, als seien wir von Millionen Spiegeln umgeben, zwischen denen die Sonnenstrahlen hin und her geworfen wurden, bis der ganze Wald von einem weißen leuchtenden Nebel erfüllt war.«
»Okay«, sagte ich und versuchte, mich anzuhören wie eine hilfsbereite, platonische Freundin, »das klingt zwar ziemlich verrückt, aber ich vertraue darauf, dass du schon weißt, was du gesehen und gehört hast. Also, wenn es tatsächlich solche Dinge –«
»Vanessa.«
Ich schloss die Augen. Eigentlich hatte ich doch nur wissen wollen, was in Wahrheit mit Justine geschehen war und was sie in den Monaten vor ihrem Tod getrieben hatte. Ich hatte nach Antworten gesucht, um ihren selbstmörderischen Sprung zu verstehen und um dann mit meinem Leben weitermachen zu können. Wie war ich dadurch in diesen Schlamassel geraten?
»Vanessa«, sagte er wieder und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn hinters Ohr.
»Simon … bitte. Ich komme schon damit klar. Das ist ziemlich viel auf einmal, aber ich komme klar.«
»Ich konnte fliehen. Willst du nicht wissen, wieso?«
Ich begann, den Kopf zu schütteln, aber seine Hand auf meinem Kinn ließ mich innehalten.
»Deinetwegen.«
Ich hob den Blick.
»Ihr erster Versuch, mich zu kontrollieren, endete für einen kurzen Moment, als ich deine Stimme hörte. Gerade lang genug, um dir zuzurufen, dass du Caleb nachlaufen solltest, und um mich auf Zara zu stürzen. Weil du gesprochen hattest, konnte ich mich aus dem Sog lösen. Und dann, als ich mit ihr allein war und sie alles in ihrer Macht Stehende tat, damit ich ihr gehorchte und ihr zum Auto folgte, hörte ich dich wieder.«
»Aber ich war doch gar nicht da. Nicht mal in der Nähe.«
»Ich weiß.« Sein Gesicht näherte sich meinem, und seine Stimme wurde ganz sanft. »Vanessa, was gestern Nacht zwischen uns passiert ist – dabei ging es um mehr als um diese
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