Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
auch …?«
»Ja, habe ich. Zwar bin ich nicht stolz darauf, aber ich hatte eine Tochter und später zwei Enkeltöchter zu versorgen. Als klar wurde, dass Raina ihre Kräfte missbrauchte und vorhatte, Zara und Paige dasselbe beizubringen, wurde es noch wichtiger, für sie da zu sein. Also habe ich getan, was ich tun musste.«
An diesem Punkt wurde mir alles zu viel. Eine Katastrophe nach der anderen stürzte auf mich ein: Charlotte, Colin, die getöteten Frauen, die Hilflosigkeit meiner Freunde und Familie, meine unklare Zukunft … Wie sollte ich damit klarkommen? Das war mehr, als ich verkraftete.
»Was immer du nun tust, Vanessa«, fuhr Betty mit sanfter Stimme fort, »mach dir keine Vorwürfe. Du hast keine Verantwortung für ihren Tod. Charlotte hat sich immer nur zwei Dinge gewünscht, nämlich ein gesundes, glückliches Leben für ihre Tochter und ein möglichst unsirenenhaftes Leben für sich selbst. Am liebsten hätte sie gewollt, dass alle unsere Kräfte wie durch Zauberhand verschwinden. Zumindest sollte nie ein Mensch von uns erfahren oder durch uns leiden müssen. Sie hatte nicht die Macht, den Sirenenclans diese Prinzipien aufzuzwingen, aber zumindest konnte sie selbst danach handeln.« Betty holte tief Luft. »Also musste es so ausgehen, auch wenn ihr beide euch nie begegnet wäret. Ohne dich wäre ihr Tod sogar schneller gekommen.«
Sie schwieg, während mir die Tränen übers Gesicht liefen. Erst nach mehreren Minuten brachte ich es über mich zu fragen: »Was ist mit ihrem Begräbnis?«
»Sie wollte keins. Außerdem wird ihr Körper so schnell zerfallen, dass gar keine Zeit für die Vorbereitungen bleibt. So ist es meistens bei uns.«
»Aber was sollen wir dann … wie können wir …?«
Bettys Stimme war sanft und mitleidig, als sie mir antwortete: »Wir geben sie dem Meer zurück. Mir wäre es eine Ehre, ihre Überreste mitzunehmen, wann immer du möchtest.«
»Nein, ich kann mich selbst darum kümmern.«
»Das ist ein liebes Angebot von dir, Kind, aber –«
»Ich will mich selbst darum kümmern«, stellte ich klar. Ich wandte mich Betty zu und sah, wie sie resigniert den Kopf senkte. »Wann?«
»Sobald du dich bereit fühlst. Oliver und ich brauchen für die Vorbereitungen nur ein paar Minuten.«
Ich stand auf und durchquerte das Zimmer. »Dann schicke ich ihn jetzt zu dir rein.«
Im Flur stand Oliver neben meinem Vater, der noch immer zusammengesunken im Sessel hockte. Ich ging zu ihnen und legte Dad meine Hand auf die Schulter. »Sie wollte kein Begräbnis«, sagte ich sanft. »Willst du noch einen Moment mit ihr verbringen, bevor …?« Ich schaffte es nicht, den Satz zu Ende zu bringen.
Sein krisseliges weißes Haar schien durch die Luft zu schweben, als er den Kopf schüttelte. »Nein, ich habe mich schon verabschiedet.«
Ich schaute Oliver an, der kurz nickte und zurück ins Gästezimmer ging.
»Deine Freunde sind eben gekommen«, sagte Dad. »Simon, Paige, Caleb … und ein nettes blondes Mädchen, das ich noch nicht kenne.«
Er musste Natalie meinen. Seltsam. Wieso hatte Paige sie mitgebracht?
»Sie wollten sichergehen, dass mit dir alles in Ordnung ist. Soll ich sie holen?«
Simon und Paige hätte ich tatsächlich gerne dabeigehabt, aber dann überlegte ich es mir anders. Ich fürchtete, wenn ich Besorgnis und Mitleid in ihren Gesichtern sah, könnte ich völlig zusammenbrechen. Also dankte ich Dad, sagte aber, ich würde lieber bis zu meiner Rückkehr damit warten.
Fünfzehn Minuten später kamen Betty und Oliver aus dem Zimmer. Betty griff nach meiner Hand.
»Schwimm hinaus, so weit und solange du willst, und bette sie an einem Ort zur Ruhe, der sich passend anfühlt. Mach dir keine Sorgen, was mit dem Behälter passiert – er wird sich noch vor Sonnenaufgang von selbst auflösen.« Sie drückte meine Hand. »Lass dir Zeit. Wir können warten.«
Fast genau das Gleiche hatte Charlotte gesagt, als sie vor ein paar Wochen aufgetaucht war und ich sie am Pier sitzen ließ, um mit Simon zu reden. Plötzlich steckte mir ein dicker Kloß im Hals. Ich schluckte ihn herunter, aber danach lag er mir nur wie ein Stein auf der Brust.
Dad stand auf, und die drei gingen ins Wohnzimmer. Ich öffnete erneut die Tür vor mir. Das Gästezimmer war so aufgeräumt, als hätte dort seit Ewigkeiten niemand gewohnt. Das Bett war gemacht, Charlottes Habseligkeiten waren verschwunden. Sonnenlicht fiel durch die dünnen faltenlosen Ziergardinen. Als einziger Hinweis, dass der
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