Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
Raum noch vor kurzem benutzt worden war, stand ein quadratischer Rucksack auf dem Fenstersitz.
Das da , dachte ich, ist meine Mutter .
Der Rucksack bestand aus einem silbernen faltigen Material, das an dickes Zellophan erinnerte. Er hatte einen Reißverschluss und zwei Schulterriemen. Als ich ihn hochhob, war er überraschend leicht. Fast hätte ich hineingeschaut, um den Inhalt zu überprüfen, aber dann schreckte ich doch davor zurück. Statt ihn auf meinen Rücken zu schnallen, drückte ich ihn an die Brust. So trug ich ihn durch den Flur, über die Terrasse und hinunter zum Strand. Ich setzte den Rucksack nur kurz ab, um meine Wanderschuhe und Strümpfe auszuziehen, dann nahm ich ihn wieder hoch und presste ihn an mich.
Auch im Wasser trug ich ihn nicht auf dem Rücken, sondern paddelte mit einem Arm, während ich mit dem anderen den Rucksack ans Herz drückte. Ich verlor jedes Zeitgefühl, während ich schwamm. Ich konnte nicht sagen, welche Strecke ich tauchte, aber ich hielt erst an, als ich ein großes Korallenriff am Meeresboden erreichte. Im Laufe der letzten Jahre hatten meine Augen sich an das dämmrige Licht in der Tiefe angepasst, so dass sich die ganze Unterwasserlandschaft vor mir ausbreitete, die von bunten Fischen und Pflanzen überquoll. Das Riff wirkte wie ein Ort des Lichts inmitten einer dunklen Welt. Das schien mir passend, wenn ich an Charlotte dachte, und so schwamm ich zu einer kleinen Höhlenöffnung und setzte den Rucksack vorsichtig dort ab.
Damit war die Bestattung vorbei. Keine Zeremonie, keine traurige Musik oder liebevolle Reden zu ihrem Andenken. Sie hatte ein schwieriges Leben gehabt, das zu einem tragischen Ende gefunden hatte, und jetzt blieb nichts weiter übrig als ein kompostierbarer Rucksack auf dem Meeresgrund.
Ich blieb so lange, wie ich mir leisten konnte, ohne meine Familie und Freunde an Land zu beunruhigen. Dann legte ich noch einmal meine Hand auf den Rucksack, wobei ich mir eine junge, gesunde lächelnde Charlotte vorstellte, und verabschiedete mich.
Als ich an die Oberfläche zurückkehrte, war mein Kopf völlig klar. Ich fand alle im Wohnzimmer versammelt, wo Mom sich als Gastgeberin betätigte und Tee und belegte Brote herumreichte. Das meiste davon war unberührt. Ich versicherte, dass es mir gutging, und bat um ein paar Minuten allein mit meinen Freunden. Als meine Eltern, Betty und Oliver sich in die Küche zurückgezogen hatten, setzte ich mich auf das Sofa neben Simon, der mir den Arm um die Schultern legte.
»Ich mache es«, erklärte ich. »Egal, was passiert, ich werde Colin aufhalten.«
Kapitel 22
F ast eine Woche war vergangen, und Paige spielte auf meinem Bett mit ihrem Handy herum, während ich mich für mein Date zurechtmachte. Dazu brauchte ich entschieden länger als geplant, weil mein Körper mich wieder einmal im Stich ließ. Seit ich mir frische Energie vom Besitzer des Outdoor-Ladens gestohlen hatte, waren sechs Tage vergangen, und der Effekt war unübersehbar.
»Wer ist sie bloß?«, stöhnte Paige vor sich hin. »Wieso kann ich sie nicht einordnen?«
»Vielleicht kennst du sie gar nicht.« Ich stand vor dem Badezimmerspiegel und rieb gerade eine dritte Schicht Feuchtigkeitscreme in meine Haut, um Gesicht, Hals und Hände zu schützen.
»Aber Carla und Erica habe ich auch gekannt. Und diese Frau habe ich bestimmt auch schon gesehen. Obwohl es von hinten natürlich schwer zu sagen ist.«
Ich verzichtete auf eine Antwort. An Calebs Mailadresse waren drei Fotos des neuesten Stalking-Opfers gesendet worden. Diesmal handelte es sich um eine zierliche Brünette. Paige hatte sich die Bilder von Caleb weiterschicken lassen und machte sich völlig verrückt bei dem Versuch, die junge Frau zu identifizieren.
»Vielleicht war ich zusammen mit ihr auf der Schule? Oder sie war als Gast im Restaurant?«
Während Paige sich den Kopf zerbrach, schüttelte ich einen Liter Salzwasser in mich hinein und wartete darauf, ob eine Wirkung eintreten würde. Als meine Haut trocken und blass blieb und die Falten um Mund, Nase und Augen nicht verschwanden, griff ich zur letzten Waffe: Make-up. Ich brauchte Rouge, Lippenstift, Wimperntusche, Kajalstift und eine halbe Flasche Grundierungscreme, aber danach ähnelte ich wieder einer Achtzehnjährigen.
»Wow.« Paiges Blick wanderte von meinem Scheitel zu meinen Zehen, als ich aus dem Bad kam.
»Habe ich übertrieben?« Ich drehte mich zum Spiegel um. »Ich will nicht so wirken, als hätte ich mich zu sehr
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