Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
Hälfte der Zeit hektisch herumgerannt, und die andere Hälfte hat sie geheult. Ich weiß gar nichts über sie, außer dass sie eine Menge Geld für Papiertaschentücher ausgibt.« Paige starrte auf ihren Schoß, dann hinaus auf den Hafen. »Ausgegeben hat , meine ich.«
Ich folgte ihrem Blick. Das Wasser war ruhig und spiegelglatt. Der wolkenlose Himmel leuchtete strahlend blau. Genau wie gestern, vorgestern und die ganzen Tage davor war das Wetter in Winter Harbor perfekt. Eigentlich hätte das eine beruhigende Feststellung sein sollen, denn im letzten Sommer waren sämtliche Opfer – auch meine Schwester – nach schweren Gewitterstürmen gefunden worden. Aber dadurch wurde alles nur noch rätselhafter.
»Was ist denn mit dir?« Paige wandte sich wieder zu mir um. »Ich meine, erst hast du sie mit eigenen Augen daliegen sehen, mitten auf der Straße, und dann dieser Online-Artikel … in dem deine Schwester erwähnt wird …« Sie schob sich die Sonnenbrille auf die Stirn und beugte sich zu mir vor. »Kommst du zurecht? Oder willst du dir lieber einen Tag freinehmen? Vielleicht ein bisschen Zeit mit deinen Eltern verbringen?«
»Danke, aber mir geht es gut. Ich habe nur ein schlechtes Gewissen, ansonsten ist alles okay.«
»Ein schlechtes Gewissen? Wieso das denn?«
»Wegen des allerersten Gedankens, der mir gestern durch den Kopf geschossen ist, als ich ihr Gesicht gesehen habe.«
Paige ergriff meine Hand, die auf der Tischplatte lag.
»Wie du eben gesagt hast, ist das alles ganz schrecklich und tragisch, aber –«
»Ist schon okay, Vanessa.«
»Ich war erleichtert, als ich ihr Gesicht gesehen habe. Weil das Opfer kein Mann war.« Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. »Ich weiß, das war ein grässlicher Gedanke, und –«
»Nein, ich verstehe deine Reaktion. Mir wäre es genauso gegangen.«
Ich stieß einen Seufzer aus. »Danke.«
»Nichts zu danken, ich habe nur die Wahrheit gesagt.« Sie machte eine nachdenkliche Pause. »Aber andere Leute werden wahrscheinlich auf ähnliche Gedanken kommen. Der Artikel auf der Herald -Website ist nur der Anfang, fürchte ich. Mit Glück stürzt sich keiner von den überregionalen Sendern auf die Neuigkeit, aber zumindest hier in der Region werden die Leute reden, vergleichen, Verbindungen herstellen …«
»Du meinst, sie werden Carla mit Justine in einen Topf werfen? Weil sie das erste Todesopfer und ebenfalls ein Mädchen war?«
Paige machte ein entschuldigendes Gesicht.
»Schon gut, ich bin ja deiner Meinung. Allerdings gibt es zwischen den beiden Fällen auch riesige Unterschiede. Vor allem ist Carla nicht in Wassernähe gefunden worden. Und die Kreuzung ist total unübersichtlich, also hat sie vielleicht jemand überfahren und einfach liegen lassen. Natürlich habe ich gestern Abend gleich an unsere Erlebnisse im Sommer gedacht, aber jetzt habe ich mich wieder beruhigt. Wir beide wissen schließlich, dass so etwas auf keinen Fall wieder vorkommen kann.« Ich zuckte mit den Schultern. »Also lass die Leute reden.«
Sie drückte meine Hand. »Nerven wie Drahtseile«, stellte sie fest. »Anscheinend hatte unser gutaussehender, scharfsichtiger Nachwuchswissenschaftler recht. Du hast dich wirklich verändert.«
Ich trank meinen Eiskaffee mit einem Zug leer, als könnte ich so die Hitze aus meinen Wangen vertreiben. »Wo wir gerade davon sprechen, ich sollte besser nach unten gehen. Simon hat mir gesimst, dass er mit Caleb schon zum Frühstück und nicht erst zur Mittagspause kommt. Keine Sorge, dafür knöpfe ich ihnen den Normalpreis ab. Wahrscheinlich will Simon sich nur versichern, dass ich heil hier angekommen bin.«
»Ach was, meinetwegen kann Simon auch Kalbsfilet statt Bacon auf seinem Frühstücksbrötchen haben … und zwar umsonst. Wer meine beste Freundin so glücklich macht, hat sich ein kostenloses Frühstück mit allen Extras verdient.« Sie lächelte verschmitzt, während sie aufstand und den Papierkram mitsamt dem Notebook einsammelte. »Und für Caleb gilt dasselbe. Natürlich nur, weil er Simons Bruder ist.«
»Natürlich.«
Ihr Lächeln wurde breiter. Gerade wollte ich sie fragen, ob mir etwas auf der Flirtfront entgangen war, als sie plötzlich wieder ernst wurde.
»Tut mir übrigens leid, was in der Grillstube passiert ist. Ich habe mich nie richtig dafür entschuldigt. Dabei hatte ich hinterher ein richtig schlechtes Gewissen. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist. Vielleicht ist mir einfach alles zu viel
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