Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
Truck nicht mehr gesehen, stimmt’s?«, fragte ich.
Sein Daumen strich über meinen Handrücken. »Stimmt.«
»Und hier im Kinosaal sitzen mindestens fünfzehn Leute. Was soll bei so vielen Augen- und Ohrenzeugen schon passieren?«
Die Filmvorschauen begannen. Simon beugte sich über die Armlehne und neigte sein Gesicht in meine Richtung. Wir küssten uns, während die letzten dämmrigen Lampen verloschen.
»Hast du das gesehen?«, flüsterte er und ruckte zurück.
Ja, allerdings. Für eine Sekunde blitzte im Saal kurz ein weißer Lichtschein auf. »Kam von da drüben.« Ich nickte in Richtung einer Teenagergruppe, die mehrere Reihen vor uns saß. Sie lachten, schnitten Grimassen und fotografierten sich gegenseitig mit den Handys. »Die sind viel zu jung«, fügte ich hinzu, bevor Simon sich einreden konnte, dass sie zu den Leuten gehörten, die ich am Bootsschuppen belauscht hatte.
Ein paar Minuten später begann der Film. Im Winter Harbor Cinema gab es nur zwei Säle, so dass wir die Wahl zwischen einer Komödie und einem Melodram gehabt hatten. Wir hatten uns für die leichtere Kost entschieden. Im Nachhinein gratulierte ich mir dazu, denn Simon schien sich zu entspannen, legte einen Arm um mich und gab mir zwischen den witzigen Szenen ab und zu einen Kuss auf die Stirn.
Ich fühlte mich genauso entspannt – jedenfalls am Anfang. Aber nach kaum einer halben Stunde im Kinosessel begannen die bekannten Symptome aufzutauchen. Ich stopfte mir ganze Hände voll salzigem Popcorn in den Mund, trank die Wasserflasche leer, die ich in meiner Handtasche ins Kino geschmuggelt hatte, und stahl danach auch noch den Rest von Simons Cola. Aber nichts davon reichte aus.
Das ist doch lächerlich , dachte ich. Ich mache gar nichts, ich sitze einfach nur rum.
Anscheinend war das egal. Schließlich stand ich auf, solange ich noch die Kraft dazu hatte.
»Muss auf die Toilette«, flüsterte ich Simon als Erklärung ins Ohr. »Auf dem Weg hole ich Colanachschub. Bin gleich zurück.« Ich nahm den leeren Pappbecher, küsste Simon auf die Wange und kletterte über seine Füße hinweg.
Als ich aus dem Saal kam, wurde ich kurz geblendet und sah nur Schwarz vor Augen. Ich brauchte einen Moment, um mich zu erinnern, dass wir Nachmittag hatten. Blinzelnd warf ich den Becher in den Mülleimer und eilte schnurstracks zur Damentoilette.
Wie sich herausstellte, war ich dort nicht die Einzige. Von den drei Kabinen waren zwei besetzt. Um die Wartezeit zu überbrücken, ging ich tatsächlich auf die Toilette.
Als ich wieder herauskam, wusch sich ein Mädchen gerade die Hände. Unsere Blicke trafen sich im Spiegel, und ich bildete mir ein, dass ihre Miene sich für einen Sekundenbruchteil veränderte. Was war gerade über ihr Gesicht gehuscht? Überraschung? Erkennen? Vielleicht hatte ich sie kürzlich im Restaurant bedient? Der Ausdruck verschwand zu schnell, um ihn deuten zu können. Vorsichtshalber warf ich ihr ein Lächeln zu. Sie erwiderte es und senkte den Blick.
Ich stellte mich ans Waschbecken neben ihr und drehte das Wasser auf. Glücklicherweise brauchte es einen Moment, ehe es eine angenehme Temperatur hatte. Bis ich mit Händewaschen fertig war, würde das Mädchen verschwunden sein. Die Frau in der zweiten besetzten Kabine würde nicht wissen, wie lange ich mich schon hier befand.
Aber alles kam ganz anders. Denn das Mädchen, das nur wenig älter aussah als ich, ließ sich unendlich viel Zeit. Sie trocknete ihre Hände, holte eine Creme aus der Handtasche und rieb sich sämtliche Finger ausgiebig damit ein. Danach waren sie ihr anscheinend zu fettig, denn sie wusch sich die Hände gleich noch mal und wiederholte die Prozedur mit einem kleineren Tupfer der Creme. Beide Male hielt sie ihre Hände so lange unter den Trockner, dass sie ihn zwischendurch wieder anschalten musste. Da das uralte Gerät mehr kalte als warme Luft produzierte, konnte ich diese Verzögerung allerdings verstehen.
Nachdem sie mit den Händen fertig war, erneuerte sie ihr Make-up. Sie holte alle nötigen Gerätschaften einzeln aus der Handtasche – Lippenstift, Wimperntusche, Rouge – und reihte sie auf dem kleinen Wandregal unter dem Spiegel auf. Dann widmete sie sich ausführlich jedem Teil ihres Gesichts, was ich schon weniger verstehen konnte, denn sie sah perfekt aus. Ich hätte wetten können, dass sie bereits frisch geschminkt war. Schließlich kümmerte sie sich um ihr langes braunes Haar, das sie bürstete, arrangierte und einsprühte,
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