Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
sich so unkontrolliert, dass ich ihr das Glas nicht an die Lippen setzen konnte. Jedes Mal, wenn sich ihr Mund dem Wasser näherte, schienen ihre Lungen regelrecht zu explodieren, und ihr Kopf wurde zurück ins Kissen geworfen.
»Vanessa, was –?«
Ich schaute auf. Dad stand in der offenen Tür und starrte mit aufgerissenen Augen auf Charlotte.
»Hilf mir!« Ich griff nach ihrer Hand und hob erneut das Glas. »Sie erstickt, und ich … ich kann nicht … ich weiß nicht, wie …«
Sofort stand er neben mir. Er setzte sich ebenfalls aufs Bett und legte ihr den Arm um die Schultern. Charlotte ließ sich hineinfallen. Bald wurde sein Körper genauso durchgeschüttelt wie ihrer. Dad schlang den anderen Arm um ihren Oberkörper und hielt sie so fest, wie ihr Husten es erlaubte. Ihre Finger krallten sich in sein Bein, und die Knöchel traten hervor, als wollten sie die papierdünne Haut sprengen.
Für einen winzigen Moment brachte mich ihre körperliche Nähe aus der Fassung. Die beiden so zu sehen fühlte sich falsch und unnatürlich an.
Aber dann riss ich mich zusammen und ermutigte ihn, mehr zu tun. »Nimm ihre Hand«, forderte ich ihn auf.
Dad schaute mich verwirrt an.
»Leg sie auf deine Brust. Bitte!«
Er folgte meinen Anweisungen. Ich nahm Charlottes andere Hand und beugte mich zu ihr vor.
»Jetzt sing, Charlotte«, bat ich und schaute ihr in die Augen. »Du musst singen. Wie du es mir beigebracht hast.«
Doch was aus ihrem Mund kam, glich nicht im Geringsten den Klängen, mit denen sie vor ein paar Tagen den Frisbeespieler am Strand hypnotisiert hatte. Ihre Stimme war rau, laut und unmelodisch. Man hatte das Gefühl, dass ihr Körper sich gegen die Töne wehrte, sosehr Charlotte sich auch anstrengte, sie herauszupressen.
Vor allem hatten sie keinerlei Wirkung. Dads Blick blieb klar und unverschleiert. Er hielt weiter ihre Hand und schien nichts zu spüren.
Irgendwann endete der Anfall, weil Charlotte einfach zu erschöpft war, um weiterzuhusten. Dad blieb an seinem Platz, wiegte sie sanft und strich ihr das Haar aus der Stirn. Da ich sie nicht stören wollte und auch ein paar Minuten allein für mich brauchte, setzte ich mich ans Fenster. Eine lange Weile herrschte Stille, bis auf das Rauschen der Wellen, die unten an den Strand schlugen, und Charlottes unregelmäßige Atemzüge.
Ich überlegte gerade, ob ich bleiben oder lieber gehen sollte, als Charlotte noch einmal zu sprechen begann.
»Genau das wollte ich dir sagen, Vanessa«, flüsterte sie. »Am Ende wird es nicht reichen.«
Ich hielt den Atem an. »Was meinst du damit?«
Langsam drehte sie den Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich. Als sie erneut zu sprechen anfing, füllte ihre Stimme meinen Kopf, doch ihre Lippen bewegten sich nicht.
Von fremden Lebenskräften hier und da zu kosten, sagte sie, so dass nur ich es hören konnte. Irgendwann reicht das nicht länger aus. Wenn du dein eigenes Leben retten willst … musst du es einem anderen rauben .
Kapitel 20
M eine Beinmuskeln brannten. Stechende Schmerzen zuckten durch meine Brust, während Herz und Lungen wie verrückt arbeiteten. Schweiß lief mir über die Stirn und fing sich in meinen Brauen.
Aber ich war kein bisschen müde. Ich weigerte mich, müde zu werden.
»Vielleicht sollten wir unsere Energie nicht schon auf dem Hinweg verpulvern«, rief Simon ein ganzes Stück weiter hinten. »Bist du sicher, dass du keine Pause brauchst?«
Ich schüttelte den Kopf und legte noch einen Zahn zu. Keine Ahnung, wie lange wir bereits wanderten und welche Strecke wir noch vor uns hatten, aber das war mir auch egal. Je weiter, desto besser. Denn ich fühlte mich lebendig, während ich jeden Atemzug und jedes Dehnen und Strecken meiner Muskeln auskostete. Ich genoss die warmen Sonnenstrahlen und die kühle Brise. Ich atmete den süßen Duft von Blumen, Bäumen, Erde ein und hörte auf alles, was sich um mich herum regte: Vögel, Insekten, raschelndes Laub. Ich versuchte, jeden Augenblick bewusst wahrzunehmen und festzuhalten, ohne darüber nachzudenken, warum ich das tat.
Denn wenn ich meine Gedanken dorthin driften ließ, würden meine Beine versagen, meine Lungen streiken und mein Herz keinen einzigen Schlag mehr tun. Ich würde auf der Stelle tot umfallen. Gleich hier auf dem Wanderpfad.
Wenn man die Alternative bedachte, war diese Vorstellung nur allzu verlockend.
Nachdem Charlotte gestern Nacht ihre Bombe hatte platzen lassen, war ich wortlos auf mein Zimmer gegangen,
Weitere Kostenlose Bücher