Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
ohne noch eine einzige Frage zu stellen. Dabei hätte ich wahrhaftig genug gehabt. Wenn man so etwas zu hören bekommt, schießen einem mindestens eine Million Fragen durch den Kopf. Aber ich wollte nichts weiter darüber hören. Was ich wusste, war mehr als genug. Mit jeder weiteren Erklärung wäre der Alptraum nur realer geworden … und dafür war ich noch nicht bereit.
Ich hatte mich in meinem Zimmer eingeschlossen, Dads Klopfen ignoriert und auch nicht auf Paiges Anrufe geantwortet. Früher am Abend war ich ihr in die Küche gefolgt, nachdem sie das Plüschtier hatte fallen lassen und von der Bühne gerannt war. Sie hatte mir bestätigt, dass die Kette um den Hals des Wals tatsächlich von Raina stammte. Besonders verstörend war dieser Gedanke, weil Paige sicher war, dass ihre Mutter den Schmuck am Abend des Lichterfests getragen hatte, als wir sie mit ihrem ganzen Sirenenclan im Eis eingefroren hatten … aber nicht mehr bei dem Angriff am Grund des Lake Kantaka letzten Herbst. Also musste sie die Kette entweder beim Kampf in der Meerestiefe verloren haben, oder jemand hatte sie ihr weggenommen. Beide Vorstellungen waren alarmierend. Wer immer die Kette beim Restaurant abgeliefert hatte, war erschreckend gut informiert über Raina und uns. Bisher hatten wir geglaubt, dass nur unser kleiner Kreis wusste, was im letzten Sommer wirklich geschehen war.
Bevor ich diesen Gedanken ganz verarbeiten konnte, war Paige schon wieder abgeschwirrt, um die Party zu retten. Sie hatte versprochen, mich anzurufen, aber nach meinem Gespräch mit Charlotte war mir die Lust vergangen, darüber zu reden. Das ganze Thema war für mich tabu. Ich wollte einfach so tun, als sei nichts davon passiert. Also ließ ich bei ihrem Anruf die Mailbox rangehen.
Um mich am nächsten Morgen abzulenken, stand ich extra früh auf, machte eine ausgiebige Schwimmtour und fuhr zum Outdoor-Shop am Hafen. Er hatte noch gar nicht geöffnet, als ich ankam. Ich wartete ungeduldig, bis der Besitzer auftauchte, und fragte ihn über Wanderwege aus. Als der Mann bald darauf gebannt an meinen Lippen hing, tat ich das, was Charlotte gestern bei meinem Vater nicht gelungen war. Es funktionierte sofort, und der Adrenalinschub war unglaublich. Vor Erleichterung wäre ich fast in Tränen ausgebrochen.
Aber das tat ich nicht. Weil ich damit zugegeben hätte, dass etwas nicht stimmte.
Gerade als ich aus dem Laden trat, bekam ich eine SMS von Simon. Er hatte den ganzen Tag freibekommen. Wir machten einen Treffpunkt am Jachtanleger aus, um eine Stunde später von dort zum Wanderweg zu fahren. Und seitdem waren wir ohne Unterbrechung bergauf geklettert.
Inzwischen stand die Sonne senkrecht über unseren Köpfen. Der Wald lichtete sich, und der Pfad mündete in eine Hochebene. Bald war er breit genug, damit Simon und ich nebeneinandergehen konnten. Er kam zu mir gejoggt und griff nach meiner Hand. Die Berührung riss mich aus meiner Wandertrance, und ich wurde zum ersten Mal langsamer, seit ich heute Morgen den Fuß auf den Pfad gesetzt hatte.
Wir umkreisten schweigend den Berggipfel. Schließlich kamen wir zu einer Felsgruppe, die gute fünf Meter vom Boden aufragte. Ich drückte einen Kuss auf Simons Hand, bevor ich sie losließ, meine Turnschuhspitzen in Gesteinsrisse und Kerben bohrte und nach oben kletterte. Der Fels war solide, auch wenn mich loses Geröll zweimal ein Stück zurückschlittern ließ, und ich erreichte die Spitze, ohne mich deutlich mehr anzustrengen als bisher.
»Wow.« Simon kam nach mir oben an und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche. »Ich wohne jetzt schon mein ganzes Leben hier … aber so habe ich Winter Harbor noch nie gesehen.«
Zwar hatte ich immer nur die Ferien hier verbracht, trotzdem konnte ich es ihm nachfühlen. Die Felsspitze bot einen perfekten Rundblick auf den Ort und die Umgebung. Als ich mich langsam um die eigene Achse drehte, sah ich die Hauptstraße und den Hafen … Lake Kantaka … Camp Heroine … den Leuchtturm … das Meer.
»Wunderschön«, stellte ich fest.
»Ich wusste nicht einmal, dass es diesen Aussichtspunkt gibt. Da wir die einzigen Wanderer auf dem Pfad waren, geht es anscheinend den meisten Leuten so. Wie hast du davon gehört?«
Ich zögerte. »Im Outdoor-Shop. Da war ich nämlich heute Morgen und habe Proviant besorgt.« Ich öffnete die Vordertasche meines Rucksacks und holte eine Handvoll Tüten mit Studentenfutter und ähnlicher Energienahrung hervor. Der Verkäufer hatte zwar
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