Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
an dem sie sich mit beiden Händen festhalten konnte, um sich aufzusetzen. Mit Anstrengung erhob sie sich gerade weit genug von der Matratze, damit ich ihr den Pulli mit der anderen Hand über den Rücken streifen konnte. Danach fiel sie sofort wieder ins Kissen zurück und schloss die Augen. Während sie sich erholte, zupfte ich schließlich den Pulli zurecht.
»Soll ich das Fenster schließen?«, fragte ich.
»Nein danke. Die kühle Luft tut mir gut.«
Ich hockte mich auf die Fensterbank und wartete. Dabei schaute ich mich im Zimmer um, betrachtete den neuen Schrank, den teuren Polstersessel, das elegante Sofa. Das Strandgemälde an der Wand, das von einem Künstler aus dem Ort stammte. Den hellblauen Teppichboden. Die weißen Rosen auf dem Nachttisch. Solch ein Gästezimmer sah man gewöhnlich nur in Zeitschriften, und die meisten Leute wären überglücklich gewesen, es für ihr Haus nachahmen oder selbst darin wohnen zu können. Sie hätten bestimmt nie wieder ausziehen wollen.
Aber Charlotte sah das anscheinend anders.
»Du hast deinen Koffer hervorgeholt«, stellte ich fest. Er stand fertig gepackt neben der Tür. Daneben warteten ihre Schuhe und ihre Handtasche. Die Jacke hatte sie über den Koffer geworfen.
Charlotte schlug die Augen auf. Sie drehte den Kopf langsam in Richtung des Gepäcks. »Ja, allerdings.«
»Wieso?«
Sie seufzte – oder versuchte es zumindest. Die Luft blieb ihr im Hals stecken und führte zu einem Hustenanfall, der das Bettgestell beben ließ.
Ich sprang auf, rannte ins Bad und kam mit einem Glas Wasser zurück. Zwar hatte Mom keinen zweiten Minikühlschrank angeschafft, aber sie sorgte dafür, dass Charlotte immer einen Krug voll frischem Salzwasser hatte.
Charlotte griff nach dem Glas und wollte sich wieder aufrichten. Ich setzte mich aufs Bett, drückte sie sanft an der Schulter zurück ins Kissen und hielt ihr das Glas an die Lippen. Sie nippte zwischen weiteren Hustenanfällen daran. Ich starrte auf ihren Mund, ihre Wangen und die runzelige Stirn. Eigentlich hätte die Haut sofort glatter und rosiger werden sollen … aber nichts geschah.
Der Husten hörte erst nach dem zweiten Glas Wasser wieder auf. Charlotte versuchte zu lächeln.
»Warst du heute schon schwimmen?«, fragte ich.
»Ja.«
»Dann solltest du es wiederholen. Gleich jetzt. Ich helfe dir, nach unten zum Strand zu kommen.«
»Danke, Vanessa, aber das ist nicht nötig. Ich bin einfach nur erschöpft. Das verstehst du doch.«
Ich hätte bestimmt dafür Verständnis gehabt, nur glaubte ich nicht, dass sie die Wahrheit sagte.
»Morgen reise ich ab«, fuhr Charlotte fort. »Ich bin schon viel länger geblieben als geplant und kann meine Termine nicht weiter aufschieben.«
»Aber du bist krank – oder erschöpfter, als ich dich je gesehen habe. Außerdem solltest du ausgeschlafen sein, wenn du bis nach Kanada fahren willst. Jetzt ist es schon sehr spät.«
Sie schob ihre Hand zwischen uns auf das Laken, als wolle sie mich zur Beruhigung berühren. »Mach dir keine Sorgen, ich erhole mich schon.« Sie atmete langsam aus und ein. Es klang kratzig, als sei ihre Kehle schon wieder ganz ausgedörrt. »Aber ich will – ich muss – dir noch ein paar Dinge sagen, bevor ich gehe.«
»Das kann warten«, widersprach ich schnell, damit sie sich nicht noch mehr verausgabte. »Du hast mir bereits einen Rat gegeben, der für mein Leben einen großen Unterschied gemacht hat. Auf den Rest warte ich gerne, bis wir uns das nächste Mal sehen.«
»Aber ich habe dir doch schon gesagt …«
»… dass du nicht weißt, wie lange du weg sein wirst. Ist mir klar. Trotzdem kann ich warten.« Als sie erneut protestieren wollte, fügte ich hinzu: »Falls ich zwischendurch weitere Fragen habe, kann Betty sie mir beantworten.«
Ihre Augenlider senkten sich flatternd, und für einen Moment dachte ich, sie würde weinen. Aber dann schlug sie die Augen wieder auf, und ihr Blick war sogar klarer als zuvor.
»Du musst die Welt hinter dir lassen«, murmelte sie.
»Bitte?«
»Um zu lauschen. Du musst alle Alltagsgeräusche verschwinden lassen – Automotoren, Gespräche, Wellenrauschen –, bis deine Gedanken ganz still werden und dein Geist klar ist. Selbst in einem Raum voller Menschen musst du völlig allein sein. Totale Konzentration ist das Wichtigste.«
»Ich weiß nicht genau, ob ich dir folgen kann.«
Sie streckte ihre Hand nach mir aus. »Du willst wissen, wie du die anderen hören kannst, nicht wahr? Ohne erst
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