Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
und verlassen. Da in der Einfahrt nur Simons Wagen stand, hoffte ich, dass der Rest seiner Familie unterwegs war. Bei all den Dingen, die wir zu besprechen hatten, konnten wir einige Zeit allein gut gebrauchen.
Ich klingelte an der Haustür, trat einen Schritt zurück und wartete. Als sich nichts rührte, klingelte ich noch einmal und klopfte. Ich lehnte mich über das Geländer, schaute nach oben und stellte fest, dass Simons Fenster genauso dunkel war wie der Rest des Hauses. Mit einem Blick auf mein Handy überprüfte ich, dass keine weitere Nachricht von ihm gekommen war. Die letzte SMS war mehrere Stunden alt und stammte von Paige. Sie wollte wissen, wo ich steckte, weil wir uns unterhalten müssten. Ich würde sie so bald wie möglich zurückrufen, aber jetzt wählte ich erst einmal Simons Nummer. Gleichzeitig lief ich die Stufen hinunter und um das Haus herum. Vielleicht war Simon im Wohnzimmer, das zur Seeseite zeigte, und hatte mein Klingeln nicht bemerkt, weil er vorm Fernseher saß oder eingeschlafen war.
Ich wurde sofort zur Mailbox weitergeleitet.
»Hallo, hier ist Vanessa. Ich stehe draußen vor der Tür, aber du hast mich nicht gehört, als ich geklingelt und geklopft habe. Jetzt schaue ich gerade hinten nach.« Ich zögerte, dann fuhr ich fort: »Ich liebe dich, Simon. Und mir tut alles ganz schrecklich leid.«
Die Rückseite des Hauses war genauso dunkel wie der Eingangsbereich. Ich ging trotzdem die Treppe zur Hintertür hinauf und klopfte, hatte aber damit ebenfalls kein Glück. Durchs Fenster sah ich, dass das Wohnzimmer leer und der Fernseher aus war. Es gab auch kein Abendbrotgeschirr auf dem Tisch, keine geöffneten Bücher auf der Couch oder sonst ein Zeichen, dass Simon hier auf mich gewartet hatte.
Vielleicht hatte er sich anders entschieden? Hatten seine Eltern und Caleb ihn überzeugt, dass eine Versöhnung mit mir sinnlos war und wir uns nach allem, was passiert war, besser voneinander fernhalten sollten? Vielleicht war deshalb die ganze Familie nicht zu Hause – sie saßen irgendwo in einem Restaurant und redeten gemeinsam auf Simon ein, damit er nicht wieder verletzt wurde.
Ich drehte mich um und wollte gerade vom Grundstück rennen, als mein Handy klingelte.
»Hallo«, sagte ich mit einem erleichterten Lächeln.
»Hallo, Prinzessin. Ich habe dich heute in der Schule vermisst.«
Vor Schreck musste ich mich am Treppengeländer festkrallen. Hastig schaute ich mich um, ob sich auch niemand in der Nähe befand. Ich war so froh über den Anruf gewesen, dass ich nicht auf die Nummer geschaut hatte. »Parker. Hi.«
»Alles okay mit dir?«
»Mir geht es bestens.« Ich blickte auf das Wasser hinaus und versuchte mir Simon vorzustellen, wie er dort schwamm oder auf dem Anlegesteg saß, nur um die Erinnerung an Parkers glückliches Grinsen zu verdrängen, kurz bevor er mich geküsst hatte. Eigentlich wollte ich ihn abwimmeln und sagen, dass ich später zurückrufen würde, aber ich brachte keinen Ton über die Lippen.
»Weißt du, was ich mir heute überlegt habe? Die Sommerferien sind einfach zu weit weg.«
»Okay«, brachte ich hervor.
»Und deshalb finde ich, wir sollten schon mal einen Testlauf starten.«
»Einen Testlauf?«, fragte ich verwirrt, während meine innere Stimme schrie, ich solle auflegen.
»Genau. Was hältst du von der Karibik? Ein bisschen Zweisamkeit in den freien Tagen um Thanksgiving?«
»Das klingt …« Ich brach mitten im Satz ab und vergaß völlig, was ich hatte sagen wollen.
Denn plötzlich sah ich Simon. Er ruderte über den See.
»Vanessa?«
»Ich muss jetzt Schluss machen.« Ich legte auf.
Dann rannte ich durch den Garten auf den Steg zu. Dabei merkte ich, dass meine Beine sich kräftiger anfühlten als noch vor einer halben Minute. Anscheinend musste ich nicht einmal in Parkers Nähe sein, damit seine Schwärmerei einen körperlichen Effekt auf mich hatte.
»Simon!«, rief ich, als ich das Ende des Stegs erreicht hatte.
Er schien mich nicht zu bemerken. Inzwischen hatte er aufgehört zu rudern und ließ das Boot auf die Mitte des Sees zutreiben. Wahrscheinlich hatte ich ihn aus diesem Grund nicht mit dem Handy erreichen können – hier an der Küste gab es viele Funklöcher, und draußen auf dem Wasser kam es besonders häufig vor, dass die Verbindung zusammenbrach. Ich sah, wie er mit gesenktem Kopf eine Buchseite umblätterte, und konnte mit Anstrengung die kleinen weißen Ohrstöpsel in seinen Ohren erkennen.
Also war er dabei,
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