Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
Hexenpuppe?«, fragte ich, als ich am Ende der Kellertreppe angekommen war.
Sie hörte auf, meine alten Stofftiere von einem Regal zu räumen, und drehte sich herum. »Was machst du denn hier unten?«
»Ich dachte, du brauchst Hilfe.«
»Und ich dachte, du würdest nur von oben die Treppe runterrufen.« Sie trat einen Schritt näher, wobei sie eine abgenutzte Plüschkrabbe umklammerte, die Dad mir vor Jahren im Aquarium gekauft hatte. »Du hast doch Angst vor dem Keller.«
Damit hatte sie nicht ganz unrecht. Bis vor kurzem hätte ich mich hier unten tatsächlich gefürchtet. Aber jetzt war alles anders. Vor allem, weil ich herausgefunden hatte, dass die echten Monster nicht im Schatten lauern und darauf warten, dass man sie entdeckt. Wenn sie dich haben wollen, kommen sie und holen dich.
»In drei Wochen ist Halloween.« Sie wandte sich wieder dem Regal zu und räumte die Spielsachen zurück an ihren Platz. Das nervöse Zittern ihrer Hände führte dazu, dass für jedes zurückgesetzte Plüschtier ein anderes heruntergeworfen wurde.
»Na und?«, fragte ich und hob die Kuscheltiere vom Boden auf.
»Das heißt, uns bleibt nicht mehr viel Zeit zum Dekorieren.« Als Nächstes ging sie auf einen Kartonstapel los.
Ich schlurfte ihr durch den Keller hinterher und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. »Mom … wir haben das Haus nicht mehr dekoriert, seit ich in der Unterstufe war.«
Sie richtete sich auf und presste einen weihnachtlichen Glitzerstern an ihre Brust. »Damals war ich zu sehr mit meiner Arbeit beschäftigt. Jetzt habe ich frei. Und mach dir keine Sorgen, dass es zu gruselig werden könnte. Schlimmer als die sprechende Hexenpuppe wird es nicht, versprochen. Ansonsten gibt es nur grinsende Kürbisse, Vogelscheuchen und schwarze Katzen.« Sie zeigte auf einen Aktenschrank am anderen Ende des Raums und fragte: »Könntest du bitte mal nachschauen, was da drin ist? Eigentlich sollte dein Vater nur seine alten Uni-Sachen dort gelagert haben, aber bei ihm weiß man ja nie.«
Mein Herz begann schneller zu schlagen. Da ich bisher kaum in den Keller gegangen war, hatte ich auch nie untersucht, was hier gelagert wurde. Mom und Dad waren gleich nach der Hochzeit in dieses Haus gezogen, also konnte ein Teil der Sachen gut zwanzig Jahre alt sein und aus einer Zeit stammen, in der es Justine und mich noch nicht gegeben hatte. Meine Eltern wussten beide, wie sehr ich mich vor der Dunkelheit und Enge im Keller fürchtete, so dass sie sich hier vielleicht weniger Mühe gegeben hatten, Dinge zu verstecken, die ich nicht finden sollte.
Die erste Schublade, die ich öffnete, gab ein lautes Quietschen von sich. Ich hielt den Atem an, doch Mom fuhr ungestört mit dem Kramen fort.
Ich zog eine Aktenmappe hervor und war selbst nicht sicher, was ich darin zu finden hoffte. Alte Fotos? Liebesbriefe? Rechnungen von Stundenhotels? Wenn man Rainas Scrapbook glaubte, war Charlotte gleich bei meiner Geburt gestorben. Deshalb hatte Dad sich um mich kümmern müssen. Viel konnte es also nicht zu entdecken geben, höchstens ein paar Hinweise auf ihre gemeinsame Zeit oder ihre erste Begegnung. Aber vielleicht reichte das schon, damit ich besser verstand, was damals passiert war.
Denn etwas an der Geschichte passte nicht. Dad war ganz verrückt nach Mom – oder genauer gesagt nach der Frau, die ich bis zum Sommer für meine Mom gehalten hatte. Das erkannte man schon daran, wie er sie ansah, wenn sie es nicht bemerkte, wie er sie mitten in einer ihrer gestressten Schimpftiraden zum Lachen brachte, wie er unbewusst nach ihrer Hand griff, wenn sie zusammen die Sunday Times lasen. Und seit Justines Tod wusste ich eins ganz sicher, nämlich dass die Zauberkraft der Sirenen gegen eine bestimmte Verteidigungswaffe machtlos war, wie sehr sie sich auch anstrengen mochten.
Diese Geheimwaffe hieß Liebe.
So hatte Caleb widerstehen können, als Zara ihn umgarnte. Und so hätte es auch Dad gelingen sollen, sich gegen Charlotte zu wehren. Aber das war nicht geschehen. Und ich wollte den Grund dafür wissen.
Leider fand ich in der ersten Mappe, die ich aufschlug, nicht den geringsten Hinweis. Genauso ging es mir auch mit den übrigen Unterlagen in den oberen Schubladen, und der Rest des Schrankes war ebenfalls eine Niete. Überall nur verblichene literaturwissenschaftliche Aufzeichnungen und Kurspläne. Als ich die letzte Schublade schloss, war Mom bereits mit dem nächsten Kartonstapel beschäftigt. Sie drehte mir den Rücken zu, und ich
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