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Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)

Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Verwandlung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tricia Rayburn
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huschte hinter eine Reihe von Metallregalen.
    Offenbar war sie bis in diese Ecke des Kellers noch nicht vorgestoßen, denn die Regale waren voll und ihr Inhalt mit einer grauen Staubschicht bedeckt. Mein Blick wanderte über alte Bücher und Schallplattenhüllen. Ich suchte nach einem Hinweis, der ein geheimes Doppelleben außerhalb dieser vier Wände verriet.
    Das Licht wurde schwächer, je tiefer ich zwischen den Regalen vordrang und mich von der Kellerlampe entfernte. Schließlich war es so dunkel, dass ich fast mit der Betonwand zusammengestoßen wäre, die plötzlich am Ende des Ganges vor mir aufragte. Ich erschrak, und mit einem Mal erwachte mein übliches Panikgefühl, das sonst immer schon beim ersten Schritt durch die Kellertür aufgetaucht war. Mein Puls dröhnte, und meine ganze Haut kribbelte. Ich machte auf dem Absatz kehrt und hastete durch den Gang zurück.
    Die halbe Strecke hatte ich geschafft, da landeten die Zehen meines linken Fußes auf einem ausgemusterten Rollschuh. Ich griff nach dem Regal, um mich abzustützen, und ein Karton krachte zu Boden.
    Mein Blick fiel auf das handgeschriebene Etikett:
    JUSTINE, 0–2 JAHRE
    Der Karton lag auf der Seite und war durch den Sturz aufgegangen. Als ich ihn richtigherum drehte, quollen purpurrote Strampelanzüge und winzige rosafarbene Kleider heraus. Ich erkannte sie sofort von den Babyfotos überall im Haus, die Justine sonnig lächelnd im Kinderwagen und kichernd auf dem Hochstuhl zeigten.
    Ich hob die herausgefallenen Kleider auf, fuhr mit den Fingern an vergilbten Spitzenrändern und Perlmuttknöpfen entlang und musste die Tränen zurückhalten. Sorgfältig faltete ich alles und legte es zurück an seinen Platz. Als ich mich aufrichtete und den Karton wieder auf das Regal stellen wollte, bemerkte ich eine ganze Reihe mit ähnlicher Beschriftung: JUSTINE 3–5 JAHRE, JUSTINE 5–7 JAHRE, JUSTINE 8–10 JAHRE.
    Ich trat einen Schritt zurück und schaute suchend nach oben. Mom kaufte lieber neu, als alte Sachen weiterzuverwerten. Ich hatte nie getragene Kleidung von Justine geerbt. Also musste hier irgendwo meine eigene Kartonsammlung stehen.
    Tatsächlich entdeckte ich sie auf dem obersten Regal. Die Beschriftung war in dem dämmrigen Licht kaum zu erkennen, aber trotzdem sah ich, dass meine Kinderkleidung zwar ebenfalls in Zweijahresabschnitte aufgeteilt war, die Nummerierung jedoch nicht mit null anfing – also bei der Geburt –, sondern mit eins.
    Ich streckte mich nach oben und zerrte den Karton heraus, auf dem stand: VANESSA, 1–3 JAHRE.
    Auch diese Kleidung erkannte ich sofort von den Bildern im Haus und den unzähligen Malen, die ich unsere Fotoalben durchgeblättert hatte. Nur gab es nichts unterhalb der Größenbezeichnung 12–18 Monate.
    Mir fiel plötzlich wieder ein, was meine Eltern immer erzählt hatten, wenn ich sie nach den fehlenden Fotos aus meinem Geburtsjahr fragte. Bei Justine war alles vom ersten Lächeln bis zum ersten Schritt genau dokumentiert und in einem dicken Album mit besticktem Einband festgehalten. Doch von mir gab es überhaupt keine Erinnerungen an die Babyzeit. Mom hatte behauptet, mein Vater sei ausgerechnet in diesen zwölf Monaten ganz wild darauf gewesen, mit einem eigenen Fotolabor herumzuexperimentieren, und mein erstes Lächeln sei Opfer seiner diversen chemischen Unfälle in der Dunkelkammer geworden. Die beiden hatten als Beweis sogar einen Karton voller verwischter Farbaufnahmen.
    Aber schließlich war es nicht schwer, unscharfe Bilder zu produzieren.
    Mit schwitzenden Händen und trockener Kehle machte ich mich auf den Rückweg durch den dunklen Keller. Meine körperlichen Symptome waren nichts im Vergleich zu dem Aufruhr in meinem Kopf.
    »Schau mal, was ich gefunden habe«, erklärte ich mit dem Karton im Arm.
    Mom schaute von einem Plastikbehälter voller Weihnachtsschmuck hoch.
    »Babykleidung«, sagte ich sonnig.
    Sie richtete sich auf und schlug die Hände vor den Mund. »Oh, ist auch dein Lieblingsstrampler dabei? Der gelbe mit den Schmetterlingen?«
    Ich zog den Strampelanzug hervor und hielt ihn in die Höhe, damit sie ihn bewundern konnte. Dann stellte ich den Karton auf einen Klappstuhl zwischen uns.
    »Als Paige von der Entbindungsstation nach Haus kam, gab es gerade einen fürchterlichen Schneesturm«, erzählte ich, während sie in dem Karton stöberte. »Leider war das mitten im Mai, und ihre Mutter hatte warmes Wetter erwartet, so dass sie viel zu dünne Babykleidung eingepackt

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