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Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)

Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Verwandlung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tricia Rayburn
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verleihen. Zuerst bewegte ich mich noch langsam, doch Sekunden später schoss ich schon über das Eis, als hätte ich Metallkufen unter den Schuhen.
    Der Abstand zwischen mir und Simon wurde geringer. Anscheinend hörte er mich näher kommen, denn er hielt an und drehte sich um. Ich war so erleichtert darüber, ihn rechtzeitig erreicht zu haben, dass ich seine ausgestreckten Arme zuerst für eine Einladung hielt statt für eine Warnung.
    Dann trafen sich unsere Blicke, und ich sah die Angst in seinen Augen.
    »Vanessa«, rief er mit beherrschter lauter Stimme. »Bleib stehen und rühr dich nicht!«
    Ich kam rutschend zum Stehen.
    »Das Eis bricht«, fuhr er fort. »Hinter dir.«
    Da hörte ich das Geräusch. Ein Krachen und Knacken wie von Ästen, die unter einer Schneelast bersten.
    »Bleib ganz still stehen!« Er ließ die Hände sinken und wich zurück, entfernte sich Schritt für Schritt von mir.
    Gleichzeitig näherte er sich dem Ruderboot. Instinktiv trat ich vor und wollte ihm folgen – erstarrte jedoch, als das Eis unter mir ächzte. Während ich dort stand und den Atem anhielt, sah ich klar vor mir, wie Simon das Boot erreichte und kurz stutzte, bevor er etwas herausnahm.
    Ein Paddel. Mit einem Muster aus leuchtend roten Ankern auf dem Griff.
    Dieses Bild war das Letzte, was ich sah, bevor das Eis unter meinen Füßen brach und ich im kalten Hafenwasser versank.

K APITEL 10
    B ist du sicher, dass du dich nicht rausschleichen willst, um die Nacht im Ferienhaus deiner Familie zu verbringen?«, fragte Paige ein paar Stunden später. »Hier bei Oma ist es so zugig. Selbst ein Zelt wäre vermutlich wärmer.«
    »Ich bin sicher.« Kalte Luftzüge machten mir weniger Sorgen als die Vorstellung, was ich in unserem Haus vorfinden könnte – außer einem verschwundenen Ruderboot. Simon hatte mich so schnell an Land gebracht, dass ich keinen näheren Blick darauf hatte werfen können. Aber immerhin hatte er zugegeben, dass es unserem Boot verblüffend ähnlich sah, das eigentlich im abgeschlossenen Schuppen sicher für den Winter verwahrt sein sollte. »Wenn es dir hier zu ungemütlich ist, können wir aber gerne zurück nach Boston fahren.«
    »Jetzt?« Ungläubig sah sie mich durch einen Schlitz in der Daunendecke an, in die sie von Kopf bis Fuß gewickelt war. »Wir haben fast Mitternacht.«
    »Ich kann Auto fahren. Mir geht es bestens.«
    »Klar. Bis vor zehn Minuten hast du noch wie Espenlaub gezittert.«
    Damit hatte sie recht, aber daran war nicht die Kälte schuld gewesen.
    »Übrigens war es schon ziemlich merkwürdig«, fuhr Paige fort und streckte sich auf der Couch gegenüber von mir aus, »dass Oma Betty und Oliver ausgerechnet in diesem Moment am Hafen aufgetaucht sind, noch dazu mit einem Auto voller Wolldecken und trockener Kleidung. Nur fünf Minuten nachdem du ins Wasser gefallen bist.«
    »Finde ich nicht, immerhin ist sie Winter Harbors allseits beliebte Super-Seniorin.«
    Paige lächelte. »Stimmt, wahrscheinlich hat sie das Eis noch früher brechen hören als Simon.«
    Vor zwei Jahren war Paiges Oma bei Gewitter ins Meer hinausgeschwommen und verändert zurückgekehrt. Sie besaß übernatürlich scharfe Sinne – abgesehen von ihren Augen, denn das Erlebnis hatte sie erblinden lassen. Anscheinend konnte sie aus vielen Meilen Entfernung das Schlagen eines Herzens, das Aufblühen einer Blume oder das Singen der Wale hören. Bei ihrem Erscheinen am Yachthafen hatte sie der versammelten Menschenmenge erzählt, dass sie mit Oliver (ihrem bevorzugten männlichen Begleiter, wie sie ihn nannte) gerade auf dem Weg zur Kleiderspende gewesen war, als sie die Aufregung am Kai bemerkt hatte … Aber die Decken waren angewärmt gewesen, als seien sie frisch aus dem Trockner gekommen, und die Kleidung passte mir wie angegossen. Dank Oma Betty wurde mir so schnell wieder warm, dass ich Simon davon abhalten konnte, mich in die Notaufnahme zu bringen.
    »Hast du da unten irgendwas gesehen?«, fragte Paige einen Moment später leise.
    Ich starrte auf das flackernde Feuer im Kamin. »Was meinst du?«
    »Na ja, mir ist schon klar, dass du Meilen von den Chione Cliffs entfernt warst, als du eingebrochen bist – aber Wasserwesen können schließlich von einer Stelle zur anderen schwimmen, nicht wahr?«
    Ich schaute sie an und zwang mich zu einem Lächeln. »Das Ganze hat nur ein paar Sekunden gedauert. Ich habe Eis gesehen, Dunkelheit, dann Simons Gesicht, und mehr nicht.«
    Sie stieß den Atem aus. »Gott sei Dank!

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