Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
soweit ich weiß, waren sie auch nur kurze Zeit ein Paar.«
Nachdem das Thema angeschnitten war, fielen mir so viele Fragen ein, dass ich sie gar nicht alle stellen konnte. »Hat Raina sonst noch etwas erzählt? Anscheinend wusste sie über die beiden Bescheid, schließlich hatte sie ein Foto von ihnen. Hat sie das Bild selbst geknipst? Wenn nicht, weiß vielleicht der Fotograf mehr über …«
»Vanessa, es tut mir leid, aber ich habe dir schon alles erzählt. Falls Raina weitere Informationen hatte, nun ja …«
Ich sank auf meinem Stuhl zusammen. Was immer Raina gewusst hatte, ich würde es nie erfahren.
Wir schwiegen einen langen Moment. Die einzigen Geräusche kamen von den Vorhängen, die im Wind flatterten, und von Oliver, der in seinem Notizbuch blätterte. Ich hatte eine Unmenge Fragen über Charlotte, über Dad, über mein fehlendes erstes Lebensjahr und meine Sirenenkräfte, die mal schwächer und mal stärker zu wirken schienen. Aber eine Frage war wichtiger als alle anderen. Und nur Betty war noch übrig, um sie zu beantworten.
Ich warf einen Blick auf Oliver. Er schien ganz in seine Arbeit versunken zu sein, dennoch beugte ich mich näher zu Betty vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern.
»Ich trinke Salzwasser«, sagte ich, »und zwar ständig. Jeden Tag nehme ich zwei Salzwasserbäder. Ein bisschen hilft das, aber trotzdem wird mir furchtbar heiß, und ich bekomme schrecklichen Durst. Neuerdings habe ich noch dazu Kopfschmerzen, die gar nicht wieder aufhören, auch wenn ich noch so viel Aspirin schlucke.«
Ich verstummte und wartete darauf, dass sie mir die nötigen Antworten gab, ohne dass ich geradeheraus fragen musste. Aber das tat sie nicht. Ihr Gesicht blieb so ausdruckslos wie ihre blinden Augen.
»Betty«, fuhr ich mit zitteriger Stimme fort, »wie kommst du damit zurecht? Wie komme ich damit zurecht?«
Hinter uns ertönte ein scharfes Geräusch, das mich zusammenzucken ließ. Betty rührte keinen Muskel.
»Es ist spät«, sagte Oliver, der plötzlich neben uns aufgetaucht war. Der Schaukelstuhl, dessen Lehne anscheinend gegen die Wand geknallt war, als Oliver aufstand, schaukelte vor und zurück, vor und zurück, als säße noch immer jemand darin. »Wir brauchen alle unseren Schlaf.«
Er hatte mir das Gesicht zugewandt, doch seine Augen blickten über meine Schulter hinweg auf etwas Unsichtbares.
»Paige beginnt aufzuwachen«, fügte Betty kühl hinzu. »Sie wird sich Sorgen machen, wenn du nicht da bist.«
In mir kämpften das Bedürfnis, mehr zu erfahren, und der Drang, so schnell wie möglich aus diesem Zimmer zu kommen. Schließlich stand ich auf und ging zur Tür. Dort wandte ich mich noch einmal um und wollte zum Abschied etwas sagen – mich bei Betty bedanken, ihr versichern, dass es Paige in Boston gutging, oder auf andere Art dafür sorgen, dass diese kurze Begegnung nicht peinlich endete –, doch dann sah ich sie reglos wie eine Statue am offenen Fenster stehen, wo der Wind das lange graue Haar um ihren Kopf wehen ließ. Sie sah aus, als lausche sie auf etwas, was niemand sonst hören konnte.
»Gute Nacht, Vanessa«, sagte Oliver bestimmt.
Ich trat in den Flur und zog die Tür hastig und lautlos hinter mir zu. Meine Hand ruhte auf dem Treppengeländer, und ich wollte gerade nach unten gehen, als mir bewusst wurde, dass ich das Geländer gar nicht hätte sehen dürfen. Der Flur war heller als zuvor, und die Lichtquelle schien sich hinter meinem Rücken zu befinden.
Bestimmt ist es nur eine Lampe oder eine Kerze , versuchte ich mir einzureden. Vorhin ist sie dir bloß nicht aufgefallen …
Aber natürlich war es keine Lampe und auch keine Kerze. Sondern ein silberner Schimmer, der am anderen Ende des Flurs den Boden bedeckte.
Ich warf einen Blick zu Bettys Zimmer. Die Tür war geschlossen. Ich horchte nach Paige, aber von ihr war nichts zu hören. Alles war totenstill – selbst der Wind schien sich gelegt zu haben. Das einzige Geräusch, als ich zögernd den Flur entlangging, war das Knarren der alten Dielen unter meinen Füßen.
Bei Zaras früherem Zimmer angekommen, blieb ich stehen und starrte auf den Boden. Das kalte silbrige Licht strömte unter ihrer Tür hindurch und schien meine nackten Füße zu umspülen wie Wasser den Strand. Als ich das letzte Mal hier gestanden hatte, war ich von Justine ermutigt worden, mich hineinzuwagen. Ich wartete auf ihre Stimme, aber nichts passierte.
Entschlossen packte ich den silbern glühenden Türknauf – und riss
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