Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
besonders nach diesem Abend. Hast du morgen Zeit?«
»Nein, morgen ist es zu spät. Ich muß jetzt gleich mit dir sprechen«, sagte Ido, und in seiner Stimme lag eine solche Panik, daß Ruchama wußte, daß ihr Mann sich nicht weigern konnte. »Dann fahr uns nach, zu uns nach Hause«, sagte Tuwja.
Ido warf Ruchama einen Blick zu. Sie senkte schnell die Lider, und Tuwja sagte: »Wegen Ruchama brauchst du dir keine Sorgen zu machen, sie wird uns allein lassen.« Er wandte sich an sie. »Stimmt's?« Sie nickte.
Im Auto redete Tuwja ununterbrochen. Er versuchte zu erraten, was Ido dazu gebracht haben könnte, sich so zu verhalten, wie er es getan hatte. »Man hätte ihn nicht nach Amerika fahren lassen dürfen«, betonte er wieder. »Seit ein paar Wochen, seit er zurück ist, ist er ganz verändert.« Ruchama sagte nichts. Sie war müde. Nur für einen kurzen Moment wurde noch einmal ihre Neugier geweckt, als sie wenig später den bedrückten Ausdruck auf Idos Gesicht sah. Er stand vor ihrer Wohnungstür, im zweiten Stock des
Hochhauses auf dem französischen Hügel. Doch dann wurde sie von Müdigkeit überwältigt, sie sagte: »Gute Nacht« und zog sich in das kleine Schlafzimmer zurück. Sie hörte noch Tuwjas Stimme und das Klappern von Idos Sandalen, als er Tuwja in die Küche folgte, sie hörte das Klappern der Teetassen und dann Idos Frage: »Wie macht man das Ding da an?«, doch da lag sie schon im Bett, unter dem Laken, das in dieser heißen Nacht eigentlich überflüssig war. Das offene Fenster brachte keine Erleichterung. Die Luft stand trocken und stickig im Hof. Die letzten Geräusche, die sie hörte, waren die Stimmen aus den Fernsehgeräten der benachbarten Wohnungen, dann schlief sie ein.
Zweites Kapitel
»Haben Sie einen Atemregler?« lautete die Schlagzeile des Leitartikels in den Diving News. Michael Ochajon betrachtete die Zeitschrift und lächelte. Nein, er hatte keinen Atemregler und würde nie einen haben. Er hatte nicht die Absicht zu tauchen.
Ochajon war Oberinspektor, Chef der Kriminalpolizei von Jerusalem. Er befand sich zwar im Tauchclub von Eilat, aber »nur in meiner Funktion als Vater«, wie er drohend zu seinem Jugendfreund Usi Rimon sagte, dem Chef des Tauchclubs, der versuchte, ihn zur Teilnahme an einem Kurs zu überreden. »Wasser existiert, damit man es trinkt, sich damit wäscht oder – allenfalls – darin schwimmt. Ich bin Jerusalemer, oder nicht?« Er betrachtete die blauen Tiefen mit Schaudern.
»Ich habe ganz andere Sachen über dich gehört«, sagte Usi grinsend. »Keiner hat mir gesagt, daß du so ein Angsthase geworden bist.«
»Was hat man dir denn gesagt? Und wer hat dir was gesagt?« Michael lächelte verlegen.
»Oho! Frag lieber nicht. Man sagt, daß seit deiner Scheidung alle Ehemänner ihre Frauen zu Hause einsperren. Ich habe auch gehört, daß sogar hartgesottene Polizeioffiziere anfangen zu zittern, wenn du eine Ermittlung leitest. Es heißt, daß du zäh bist. Schade, daß nicht irgendeine Dame hier sieht, was du wirklich bist – Angsthase.«
Und tatsächlich, nur wer diesen hochgewachsenen Mann, dessen hervorstehende Backenknochen den dunklen, tiefen Augen einen traurigen Ausdruck verliehen, der viele Herzen zum Schmelzen gebracht hatte – nur wer diesen Mann wirklich sehr gut kannte, wußte von seinen Ängsten. Die anderen, Polizisten, zufällige Bekannte, Untergebene und Vorgesetzte, hielten Ochajon für stark, klug, kultiviert, einen Frauenheld, dessen Ruf die Frauen in Scharen anzog, noch bevor sie ihn gesehen hatten. Und sogar erfahrene Polizisten wurden blaß, wenn sie sich die Tonbänder mit seinen Verhören anhörten, obwohl er Verdächtigen gegenüber nie körperliche Gewalt anwendete. Die Loyalität derjenigen, die zu seinem Mitarbeiterstab gehörten, die entspannte Atmosphäre ließen sich auf seine Höflichkeit zurückführen, auf die Achtung, mit der er jeden Menschen behandelte, auf seinen Mangel an Hochmut und auf die Bescheidenheit, die er ausstrahlte. Seine engsten Freunde behaupteten sogar, gerade diese Bescheidenheit sei die Ursache für seinen raschen Aufstieg bei der Polizei.
Auch Usi ergab sich nun dem scheuen, verlegenen Lächeln, das Michaels Gesicht aufhellte, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Und wer hat schon mal was von einer marokkanischen ›jiddischen Mamme‹ gehört?«
Michaels geheime Ängste, eine nie versiegende Quelle des Vergnügens für diejenigen, die ihm nahestanden, drehten sich vor allem um seinen
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