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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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verzweifelten Ausdruck auf Idos Gesicht, als er sich setzte und beobachtete, wie Tirosch in seiner Funktion als Diskussionsleiter das Thema mit einigen Sätzen beendete, einen Blick auf seine Uhr warf und sagte, es bleibe nur noch wenig Zeit für Fragen des Publikums.
    Niemand sagte etwas, weder die Dozenten oder Studenten des Fachbereichs noch die ständigen Gasthörer, die nie offiziell eingeladen worden waren, jedoch bei allen öffentlich zugänglichen Aktivitäten der Fakultät erschienen: drei alte Lehrerinnen, die ihren geistigen Horizont durch die Teilnahme an solchen Abenden erweitern wollten; zwei Literaturkritiker, die sich vom akademischen Leben zurückgezogen hatten und ihre Kollegen voller Hingabe in den literarischen Klatschspalten vergessener Zeitschriften angriffen; und ein paar kulturbeflissene Jerusalemer Exzentriker. Niemand sagte etwas. Menucha Tischkin, die älteste der drei Lehrerinnen, die nach einer langen Einleitung, in der sie ihre beruflichen Schwierigkeiten erklärte, immer etwas fragte – noch nicht einmal sie machte den Mund auf. Etwas war geschehen, aber Ruchama wußte nicht, was es war, und sie hatte keine Ahnung, was es bedeutete.
    Schließlich packten die Techniker ihre Ausrüstung zusammen, Ido Duda'i schüttelte brüsk Aharonowitschs Hand ab, die auf seiner Schulter lag, und rannte fast aus dem Saal.
    Ruchama stand neben der Tür zum Hörsaal. Die Leute gingen an ihr vorbei, und sie fing Bruchstücke von Gesprächen auf, halbe Wörter, die jedoch nicht in ihr Bewußtsein drangen. Tuwja stand noch immer hinter dem Tisch, und seine Hand zerknüllte die grüne Decke. Er sah, fand sie, wie einer der Vertreter der Arbeiterpartei aus, die immer wieder zum Kibbuz gekommen waren, um dort vor den Mitgliedern eine Rede zu halten. Sie saßen im Speisesaal hinter einem Tisch, auf dem zur Feier des Tages eine grüne Decke lag. Sie hatte diese Veranstaltungen verabscheut.
    Der Wasserkrug war leer, und Tuwja, der sich an den Tisch lehnte und ununterbrochen nickte, hörte konzentriert einige Minuten Scha'ul Tirosch zu, der auf ihn einredete. Schließlich stand Tirosch auf, und beide kamen auf die Tür zu. Tirosch schenkte Ruchama ein intimes Lächeln und sagte: »Nun, hat es dir gefallen?« Ruchama gab keine Antwort, und er fuhr fort: »Irgend jemandem muß das Drama doch gefallen haben. Tuwja hält Duda'is Angriff für einen ödipalen Aufstand. Ich glaube das nicht, auch wenn ich keine andere Erklärung habe. Wie dem auch sei, es war jedenfalls hochinteressant. Ich habe ihn, ganz im Gegensatz zu Tuwja, immer für einen interessanten jungen Mann gehalten, diesen jungen Duda'i.« Ruchama bemerkte jedoch einen neuen Ausdruck in den grünen Augen, einen Ausdruck, den sie nie zuvor gesehen hatte, vielleicht Besorgnis, und plötzlich empfand sie ein vages Gefühl der Angst. Tuwja sagte kein Wort, doch sein Gesicht war finster und zornig.
    Zusammen fuhren sie mit dem Aufzug hinunter zur Tiefgarage. Obwohl sie nun schon seit zehn Jahren in Jerusalem war, fand sich Ruchama noch immer nicht ohne Hilfe auf dem Campus zurecht. Der runde Bau der Geisteswissenschaften, bei dem jeder Fachbereich in einer anderen Farbe gestrichen war, damit man ihn leichter unterscheiden konnte, flößte ihr Angst ein. Sie kannte nur den Weg zum Haus Maiersdorf, dem Gästehaus der Universität, und den Aufzug, der sie in die Tiefgarage brachte. Auch wenn sie zum Fachbereich Literatur mußte, nahm sie immer den Weg über das Haus Maiersdorf, weil sie nur so zu ihrem Ziel fand.
    Scha'ul lehnte ihr Angebot, noch auf eine Tasse Tee zu ihnen zu kommen, ab, und sie begleiteten ihn zu seinem Auto. Dann gingen sie zu ihrem Subaru, der in einer dunklen Ecke der Tiefgarage stand.
    Auch in der Tiefgarage fürchtete sich Ruchama immer. Orte wie diese und auch überfüllte Kaufhäuser machten ihr solche Angst, daß ihr übel wurde. Diesmal jedoch schien die Angst eine neue Dimension erreicht zu haben. Als aus einer Ecke eine Gestalt auftauchte, konnte Ruchama einen Aufschrei nicht unterdrücken, und sie beruhigte sich erst, als sie das intelligente Gesicht Ido Duda'is erkannte. »Tuwja«, sagte Ido, »ich muß mit dir sprechen.« Und trotz der energischen Bewegung, mit der Tuwja die Autotür aufmachte und die Scheinwerfer einschaltete, die das angespannte Gesicht Idos anstrahlten, spürte Ruchama den Zorn, die Verlegenheit und das Unbehagen in seiner Stimme, als er sagte: »Ja. Ich glaube tatsächlich, daß wir miteinander sprechen sollten,

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