Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
Diskussion darüber, ob man am Schuljahresende einfach einen Tag schwänzen dürfe. Schließlich lächelte er und sagte: »Gut, man wird nur einmal sechzehn Jahre alt. Das werden wir feiern, wie es sich gehört. Jedenfalls so, wie du es willst.«
Juval fragte nicht weiter, aber die Formulierung »daß du vielleicht jemanden mitnehmen willst« hatte Michael erneut auf die Notwendigkeit hingewiesen, mit dem Jungen über Maja zu sprechen. In Eilat, hatte er gedacht, in Eilat werde ich mit ihm reden, am Strand. In zwei Wochen sollte der Ausflug stattfinden. In zwei Wochen kann viel geschehen, überlegte er bedrückt. Vielleicht ist Juval dann schrecklich erkältet.
Und nun waren sie bereits seit zwei Tagen in Eilat. Michael lag am Strand und blätterte in den Diving News. Er betrachtete sogar die Anzeigen, trotz der Bücherstapel, die er sich mitgenommen hatte. Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Hitze machte ihn schläfrig, aber die innere Unruhe, die ihn gepackt hatte, seit sie sich auf den Weg gemacht hatten, erlaubte es ihm nicht, sich einfach fallenzulassen.
Am Morgen hatte er sich gesagt, daß gestern alles gut gegangen war, daß Usi sich persönlich um Juval kümmerte, daß der Junge die beste Ausrüstung zur Verfügung hatte, daß er nur noch ein einziges Mal tauchen würde und daß morgen früh alles vorüber sein würde und sie nach Jerusalem zurückfahren würden.
Doch dann hatte er die Schlagzeile gesehen. »Haben Sie einen Atemregler?« und den Artikel gelesen. »Es gibt keine Vorschriften für die Kontrolle der Preßluftgeräte und deren Regulierung. Die gesamte Verantwortung liegt beim Taucher selbst«, stand da. Michael las den ganzen Artikel durch und beschloß, ihn auch Juval zu zeigen, sobald er aus dem Wasser zurückkam. »Gleich nachdem sich der Taucher ein paarmal im Wasser gedreht hatte, zeigte sich eine Störung in der Sauerstoffzufuhr, die einen Notaufstieg zur Wasseroberfläche erforderlich machte, damit er atmen konnte«, hieß es in dem Artikel, und Michael las mit wachsender Konzentration. »Bei einem Blick auf den Unterwasserdruckanzeiger stellte er während des Atmens über den Regulator einen Druckabfall von 100 atm auf fast Null fest.«
Michael Ochajon schaute auf seine Uhr: Das Training sollte in einer Viertelstunde zu Ende sein. Er stand auf und ging näher zum Ufer: Der Tauchclub war voller Leute. Keiner von ihnen paßte so auf seinen Sohn auf, dachte Michael erschrocken, und dann sah er die in einen schwarzen Gummianzug gekleidete Gestalt, die von zwei Männern aus einem Boot getragen und auf den Strand gelegt wurde.
Seinen ersten Gedanken, den an Juval, schob er sofort zur Seite, denn der junge Mann, der sich die Maske vom Gesicht zog, war nicht Gai, der Lehrer, der seinen Sohn begleitete, sondern Motti, ein anderer Tauchlehrer, den er am Abend zuvor kennengelernt hatte. Bei ihm war eine Frau in einem Taucheranzug, vermutlich eine Kursteilnehmerin, dachte Michael. Von seinem Platz aus konnte er die Gesichter der beiden nicht erkennen, doch etwas an der Art, wie sie sich über den am Boden liegenden Körper beugten, deutete auf eine Katastrophe hin.
Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als Michael beobachtete, wie Motti mit einer schnellen Bewegung sein Tauchermesser hervorzog und den Taucheranzug des am Boden Liegenden aufschnitt. Die Frau rannte zum Büro hinüber, einem kleinen Steinhaus, nicht weit von dem Platz, wo Michael lag.
Motti begann mit Mund-zu-Mund-Beatmung, und Michael konnte die Augen nicht abwenden. Plötzlich fand er sich, ohne es beabsichtigt zu haben, dicht neben den beiden und wartete darauf, daß sich die Brust heben und senken würde. Aber nichts geschah. Zusammen mit Motti zählte Michael im Geist die Atemzüge.
Es war ein junger Mann. Sein Gesicht war rosa und geschwollen.
Oberinspektor Ochajon, der bei den Fällen, die er untersuchen mußte, schon viele Leichen gesehen hatte, hoffte noch immer, daß es ihm eines Tages gelingen würde, ebenso abgestumpft zu sein wie die Polizisten und Privatdetektive im Fernsehen. Jedesmal erschrak er wieder, im nachhinein, über das Schwindelgefühl, die Übelkeit, die Angst und manchmal auch das Mitleid, das ihn packte, wenn er vor einer Leiche stand, ausgerechnet dann, wenn wissenschaftliche Konzentration von ihm verlangt wurde. Nichts von alledem wurde hier von ihm erwartet, tröstete er sich, als er klar erkannte, daß alle Wiederbelebungsversuche zwecklos waren.
Die Frau kam zurück, begleitet von einem
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