Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
einzigen Sohn.
Noch als Juval ein Baby war, war seinem Vater bereits klar, daß dieser Junge irgendwann einmal allein in die Ferien fahren würde, ein Moped haben, von einem Motorrad träumen, in die Armee eintreten würde. In den ersten Nächten, nachdem Nira mit Juval aus dem Krankenhaus gekommen war, konnte er nicht einschlafen, weil er Angst hatte, das Baby könne aufhören zu atmen. Als Juval ein Jahr alt war, machte bereits die Geschichte von dem marokkanischen Vater die Runde, der sich wie ein Pole verhielt, wie ein Überlebender des Holocaust. »Wir haben die Rollen getauscht«, erklärte Nira mit kaltem Spott ihren Freunden. »Es wäre logisch, wenn ich mich so benehmen würde. Aber er – was für einen Grund hat er?«
Für Michael Ochajon war es kein Problem, nachts aufzustehen, wenn das Baby schrie, und seine Windeln zu wechseln war für ihn sogar eine ausgesprochen angenehme Aufgabe. Und wenn sich Nira früher, als sie noch verheiratet waren, über Juvals emotionale Ansprüche beschwerte, so konnte er dies nie nachempfinden. Ganz besonders schwer fiel es ihm, die ersten Schritte seines Sohnes in die Selbständigkeit zu beobachten, er wurde ständig von dem Bewußtsein gequält, daß das Leben in der Tat an einem seidenen Faden hing und wie gering seine Möglichkeiten waren, den Jungen vor allen äußeren Gefahren zu bewahren und sein Leben und seine Gesundheit zu schützen.
Nie hatte er seine Ängste Juval gegenüber geäußert, und der Junge begann schon zwei Monate nach seiner Einschulung, trotz des dichten Verkehrs auf der Gazastraße allein zur Schule zu gehen. Er trat den Pfadfindern bei, ohne zu wissen, in welchen Zustand sein Vater jedesmal geriet, wenn er einen Ausflug unternahm. Juval war sechs, als sich seine Eltern trennten, und es lag in der Natur der Sache, daß Michael nun auch das letzte bißchen Kontrolle über die Gefahren verlor, die hinter jeder Ecke lauerten. Er bekam seinen Sohn nur zweimal in der Woche und jedes zweite Wochenende, bis sich der Junge gegen den strengen Zeitplan auflehnte, den seine Mutter für ihn aufgestellt hatte, und anfing, seinen Vater zu besuchen, wann immer er Lust dazu hatte.
Juvals Leidenschaft für das Tauchen war für Michael die Inkarnation all seiner Ängste.
Auf die Frage »Was wünschst du dir zum Geburtstag?« hatte der Junge darum gebeten, einen Tauchkurs machen zu dürfen. »Ich brauche nur den Kurs und die Grundausrüstung, das Geld für die Fahrt habe ich schon gespart, als ich im Sommer gearbeitet habe.« Als er den Ausdruck auf dem Gesicht seines Vaters sah, schloß er, daß ihm das zu teuer war, und fügte rasch hinzu: »Vielleicht reicht es ja auch für einen Teil der Ausrüstung.«
Michael Ochajon brachte all seine innere Kraft auf, um sich zu beherrschen und ohne Zögern zu sagen: »Das ist wirklich eine originelle Idee. Und wo macht man so einen Kurs?«
»An allen möglichen Orten«, sagte Juval, und unverhohlene Freude zeigte sich auf seinem Gesicht. »Ich würde aber gerne nach Eilat fahren. Ich habe mir gedacht, ich könnte zur Feier meines Geburtstags am Freitag die Schule schwänzen und morgens mit dem Autobus fahren. Das Schuljahr ist sowieso bald zu Ende. Aber ich könnte natürlich auch nachmittags nach Eilat trampen.«
Das war natürlich der Strohhalm, der den Rücken des Kamels brach. In Juvals sehnsüchtigen Augen blitzte es listig, und Michael fragte sich, ob es ihm wirklich gelungen war, seine eigenen Ängste zu verbergen. Der Junge sah ihn erwartungsvoll an.
»Hast du vor, mit Freunden zu fahren?« erkundigte sich Michael vorsichtig, und der Junge meinte, er habe nicht darüber nachgedacht. Und dann hatte Michael die rettende Idee, wie beim ersten Ausflug Juvals, zu dem eine Übernachtung außer Haus gehört hatte: »Vielleicht verbringen wir ein Wochenende zusammen, und ich fahre mit dir nach Eilat? Ich habe dort einen Freund, den ich schon viele Jahre nicht mehr gesehen habe.«
Juval sah ihn mißtrauisch an, als er fragte: »Mit deinem Auto?« Michael nickte.
»Wir beide allein?« fragte Juval, und Michael antwortete: »Warum? Gibt es noch jemanden, den du mitnehmen willst?«
»Nein«, antwortete Juval zögernd. »Ich habe nur gedacht, daß du vielleicht jemanden mitnehmen willst.« Und dann siegte die Freude über das Mißtrauen. »Und ich werde tauchen, ja?«
»Wenn du willst. Warum nicht?«
»Und du bist sicher, daß wir von Freitagmorgen bis Sonntag fahren können?« fragte Juval, und Michael begann eine
Weitere Kostenlose Bücher