Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
müssen auch die andere Seite der Geschichte verstehen« , betonte Klein. »Es ist nicht ganz so, wie Sie es wohl annehmen.« Beide schwiegen, und Michael wurde zwischen seiner fast unbezähmbaren Neugier, zu erfahren, was Klein in diese Situation gebracht hatte, zu diesem Doppelleben, und seinem Wissen, daß das nichts mit den Ermittlungen zu tun hatte, hin- und hergerissen, ganz zu schweigen von dem Wunsch, ihm nahe zu sein, und dem gleichzeitigen Bedürfnis, sich von ihm zu distanzieren, verschlossen und überlegen zu sein.
»Meine Beziehung zu Mali ist sehr tief, und natürlich liebe ich sie und den Jungen. Es ist nicht irgendeine Affäre.«
»Wie alt ist der Junge?« fragte Michael mit kühler, sachlicher Stimme.
»Fünf.« Klein seufzte und wandte das Gesicht ab. »Und ich habe eine andere Familie, die das nie akzeptieren würde.«
Michael blickte Klein an. Dieser rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her, dann sagte er bedrückt: »Sie ignorieren die Tatsache, daß eine Offenlegung viel zerstören könnte. Meine Frau ist nicht so, daß sie derlei Dinge akzeptieren könnte, sie würde daran zerbrechen. Sie würde glauben, daß alles Lüge war, sie würde nicht verstehen können, daß man in zwei verschiedenen Bereichen leben kann, die ganz voneinander getrennt sind, ohne daß die beiden sich gegenseitig etwas wegnehmen. Man darf nicht alles nur unter dem Gesichtspunkt der Ausschließlichkeit sehen.«
Michael unterdrückte mit Mühe den Wunsch, ihn aufzufordern, er möge die beiden Lebensbereiche näher erklären. Er wußte nicht mehr, wie seine Beziehung zu Klein war, er konnte das Gefühl, enttäuscht worden zu sein, nicht einfach wegschieben. Er war verwirrt, doch das stärkste Gefühl war das Mißtrauen, das in ihm entstanden war, nach dem Verlust des Vertrauens, das er Klein vorher entgegengebracht hatte. Er erinnerte sich, wie er versucht hatte, das Ergebnis des Detektorverhörs zu ignorieren, und kam sich vor wie ein Dummkopf. Du kennst Klein nicht wirklich, sagte er zu sich, nichts ist so, wie er gesagt hat, es paßt sozusagen alles nicht zusammen. Aber nur sozusagen, das spürte er tief in sich, denn eigentlich paßte alles sehr gut zusammen. Was hatte Klein über Integrität gesagt, über Vollkommenheit? Das war vor langer Zeit gewesen, aber eigentlich erst heute nachmittag. Was hatte er gesagt? Daß es keinen vollkommenen Menschen gebe? Nur in der Kunst gebe es Vollkommenheit, das war es, was er gesagt hat, dachte Michael. Und ich sollte mich nur an die Sache selbst halten, an die Fakten, ich darf mich nicht um diese Philosophiererei kümmern. »Was genau ist mit Tirosch passiert?« fragte er, nachdem er mühsam die inneren Stimmen zum Schweigen gebracht hatte.
»Das ist ziemlich einfach zu erklären«, sagte Klein. »Aber es ist schwierig für mich, mich vor Ihnen sozusagen zu entblößen, verstehen Sie.« Klein beugte sich vor. »Ich halte die Sache mit Mali nun schon viele Jahre geheim, ohne daß irgend jemand etwas davon erfahren hätte. Noch nicht mal der Junge weiß es.« Er schaute verlegen zur Seite. »Er weiß nicht, daß ich sein Vater bin. Ich habe nie über Mali gesprochen, nur wenige Leute wissen, daß wir eine Beziehung miteinander haben, und niemand weiß, um was für eine Art von Beziehung es sich wirklich handelt. Ofra, meine Frau, hat Mali nie gesehen. Es gibt Leute, die manchmal dort mit mir essen, bei ihr im Restaurant. So habe ich sie auch kennengelernt. Tirosch hat mich das erste Mal mitgenommen, und er hat die Sache rausgekriegt.«
»Die Sache rausgekriegt?« wiederholte Michael. »Wann war das?«
»Ich weiß nicht, wann und wie er es herausgefunden hat, ich kann nur sagen, daß er nicht mit Mali gesprochen hat. Von ihr hat er es nicht erfahren. Vermutlich war es noch, bevor ich nach Amerika gegangen bin. Heute könnte ich mir sogar vorstellen, daß er einen Detektiv engagiert hat. Jedenfalls hat er sich sehr anstrengen müssen, denn wir haben keine festen Zeiten, wann wir uns treffen, Mali und ich, und wir haben immer irgendeine Deckung. Aber vielleicht habe ich das auch nur geglaubt.«
»Wie haben Sie erfahren, daß er etwas herausgefunden hatte?« fragte Michael.
Klein achtete nicht auf seine Frage, er sprach einfach weiter: »Kurz bevor ich nach Israel zurückfliegen wollte, bekam ich einen Brief von ihm. Zu seinen Gunsten muß ich sagen, daß er ihn an die Universität geschickt hat, nicht zu mir nach Hause. In dem Brief deutete er an, daß er alles wisse. Er
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