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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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aufgebaut ist, und damit Sie verstehen, wie naiv ich 1957 war. Ich war unvorsichtig, habe mich dumm angestellt, habe nichts verstanden. Es war mein erster Besuch in der Sowjetunion, wie hätte ich etwas wissen sollen? Wenn ich Ferbers Manuskript vor zehn, fünfzehn Jahren herausgeschmuggelt hätte, hätte das nicht passieren können. Aber damals? Sie werden es nicht glauben, wenn ich Ihnen erzähle, was ich damals tat. Ich nahm diese kleinen, engbeschriebenen Zettel und fühlte mich wie ein großer Spion. In der Nacht, bevor ich abreiste, trennte ich meinen Hosenbund innen auf ...« Löwenthal öffnete den schmalen Ledergürtel und den obersten Knopf und drehte seinen Hosenbund so, daß Michael sehen konnte, welche Naht er meinte, bevor er fortfuhr: »... glättete die Papiere« – mit einer Handbewegung zeigte er auf der glatten Tischplatte, wie er das getan hatte –, »steckte sie hinein und nähte den Stoffgürtel wieder zu.« Das war alles, was er damals tun konnte. Eine halbe Nacht nähen, kicherte er.
    »Ja«, hörte Michael sich selbst in seinem Schulenglisch fragen, »aber wie kam es, daß man Ihnen damals schon vertraut hat?«
    Löwenthal studierte damals Russisch. Er wollte unbedingt in die Sowjetunion. Damals war eine Zeit der Entspannung, und 1956 habe das erste Festival der Jugend stattgefunden, und er war zum ersten Mal in Moskau. Für Amerikaner war das damals nicht die beste Zeit für einen Moskauaufenthalt, aber trotzdem ... Er lachte. Es war ein Festival für Frieden und Brüderlichkeit. Wieder lachte Löwenthal, ein hohes, nervöses Lachen, das wohl ironisch klingen sollte, und Studenten aus der ganzen Welt seien dort gewesen. Im Gorkipark sei ein russischer Jude auf ihn zugekommen.
    Man müsse verstehen, sagte Löwenthal, daß er damals noch völlig grün war, er habe sich nicht nur auf dumme Art in Gefahr gebracht, sondern habe auch große Angst gehabt. Man mußte sich vor Fallen hüten, doch im gleichen Maße auch davor, reaktionäre Gruppen zu unterstützen. Er sei nicht darauf aus gewesen, die Sowjetunion zu zerstören, sondern habe sich nur für den Aspekt der Bürgerrechte interessiert, vor allem hinsichtlich der Juden. Seine Eltern waren von Rußland nach Amerika ausgewandert, er hatte dort noch Verwandte. Der Jude, der ihn im Gorkipark angesprochen hatte, wußte, daß er Jude war, und kannte seine Familie. Von ihm hatte er gehört, daß Boris für die Lyrik Anatoli Ferbers verantwortlich war, daß Ferber schon gestorben sei, aber Boris noch lebe. Der Mann, der Löwenthals Vater kannte, arbeitete bei einem Verlag, demselben Verlag, der später Ein Tag im Leben des Iwan Denis sowitsch herausbrachte. Im Gorkipark hatte er ihn nur kurz angesprochen und gesagt, er möge doch morgen in den Skolnikipark kommen. Um fünf. Löwenthal schwieg, als sehe er das Bild wieder vor sich. Am nächsten Morgen hatte er ein Paket russischer Zeitungen bekommen, zwischen denen ein Umschlag steckte. In diesem Briefumschlag befanden sich viele Gedichte, mit winziger Schrift geschrieben. Er erinnere sich sogar an die Stimme des russischen Juden, an seine schnelle, angespannte Art zu sprechen, er erinnere sich auch an das blasse Gesicht und den gehetzten Blick, an das stotternde Englisch. So habe er zum ersten Mal die Namen Ferber und Singer gehört. Wenn er darüber nachdenke, so sei dies der Punkt gewesen, an dem sich sein Leben geändert und sein Einsatz für die russischen Juden begonnen hatte. Er begann, sich um das Schicksal Boris Singers zu kümmern und zu versuchen, ihn freizubekommen. Doch Boris sei von einem Gefängnis ins andere gewandert, bis es Löwenthal schließlich gelang, seine Freilassung zu erreichen. »Nach über dreißig Jahren«, sagte er und seufzte, doch seine Augen leuchteten. 1985 sei es sehr schwer gewesen, jemanden herauszubekommen, und ausgerechnet da habe er es geschafft, in letzter Minute, vermutlich habe auch der körperliche Zustand Singers seine Ausreisegenehmigung beeinflußt.
    Michael erinnerte sich an den mißtrauischen Blick in den Augen Löwenthals, als er ihm die Frage stellte, warum man die Gedichte damals nicht jemandem von der israelischen Botschaft übergeben habe, die es zu dieser Zeit noch gab.
    »Nun«, sagte Löwenthal in einem Ton, als gehe es um etwas ganz Selbstverständliches, »sie sind doch die ganze Zeit beobachtet worden, das war zu gefährlich. Und von Moskau bin ich nach Wien geflogen.«
    Löwenthal senkte die Augen. »Dort traf ich Tirosch.« Es sei ihm

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