Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
versteckte Botschaft hinter der offiziellen war deutlich sichtbar: »Gehen Sie – Sie stören meine Ordnung.«
Racheli mußte immer an ihre Tante Zescha denken, an die Plastikdecken, die diese über die Möbel im Wohnzimmer zu breiten pflegte, an die beiden Kinder der Tante, die gezwungen waren, die meiste Zeit draußen zu spielen, um nichts kaputt oder schmutzig zu machen, und manchmal ertappte sie sich sogar selbst dabei, daß sie einen Seufzer der Erleichterung ausstieß, wenn der Professor das Sekretariat verließ und die Spannung sich wieder löste.
In der vergangenen Woche, als sogar Aharonowitsch wie ein ängstlicher Schüler an der Tür gestanden und gefragt hatte, ob er mal stören dürfe, hatte Racheli entschieden, wie das Thema ihrer Seminararbeit lauten würde: »Der Einfluß einer zwanghaften Persönlichkeit auf das Verhalten ihrer Kollegen am Arbeitsplatz.« An diesem Morgen versuchte sie insgeheim die Reaktion der Fakultätssekretärin vorauszusehen. Sie hatte angenommen, daß Adina sich noch fester an ihren Tagesablauf klammern würde, doch sie hatte sich geirrt.
Adinas Gesichtsausdruck zeigte, daß sie gewillt war, vollkommen auf einen funktionalen Ablauf zu verzichten. Der plötzliche Todesfall muß sie ziemlich aufgeregt haben, dachte Racheli, um so mehr, als Ido Duda'i im Sekretariat eine Sonderstellung eingenommen hatte. Er hatte mütterliche Gefühle in Adina geweckt. Er war auch der einzige gewesen, der sich interessiert die Geschichten über ihre Enkelkinder angehört hatte, der mit ihr über Heilpflanzen geredet und sogar Rezepte getauscht hatte, vor allem zu verschiedenen Diäten. Ihm hatte Adina sogar die nachlässige Kleidung verziehen und ihm erlaubt, im Zimmer zu bleiben, wenn sie telefonierte.
An diesem Morgen sah Adina aus, als habe sie beschlossen, tüchtig, ruhig und vor allem beherrscht zu sein. Die Studenten, die trotz der Ankündigung das Zimmer betreten wollten, komplimentierte sie geduldig hinaus und sagte kein Wort über die Katastrophe. Den Becher Naturjoghurt und die Gurke, die sie sich bis mittags zu essen erlaubte, stellte sie mit dem Ausdruck des Abscheus in die unterste Schublade, und Racheli erinnerte sich plötzlich an eine Bemerkung, die Tirosch einmal in den Raum geworfen hatte, als er die Tüte mit der Gurke gesehen hatte: »Zwanzig Jahre kenne ich sie jetzt, und seit zwanzig Jahren macht sie Diät.«
Rachelis Gedanken wanderten zu Tirosch, den Adina immer noch fieberhaft zu erreichen versuchte. »Bis Mitternacht habe ich es von zu Hause probiert, obwohl ich Gäste hatte, und heute morgen war ich schon um sieben hier und habe ständig versucht, ihn zu erreichen.« Wieder staunte Racheli über Adinas Gelassenheit, die noch nicht einmal erschüttert wurde, als Tuwja Schaj hereinstürzte. Auch ihm gab sie die gleiche Erklärung. Mit ruhiger Stimme sagte sie langsam, zum zehnten Mal an diesem Morgen: »Wir wissen keine Einzelheiten. Ich stehe mit Ruth in Verbindung, seine Eltern wurden schon informiert. Man sucht immer noch nach den Ursachen für seinen Tod, es besteht der Verdacht, daß die Taucherausrüstung defekt war. Aber die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Ich weiß nichts über die Beerdigung, man wird uns Bescheid geben, wann sie stattfinden kann. Ich würde gerne mit Professor Tirosch in Verbindung treten, vielleicht wissen Sie, wo ich ihn finden kann?« Das alles sagte sie mit ernstem, sogar feierlichem Gesicht, als wolle sie ausdrükken: Wenn etwas wirklich Ernstes passiert, kann ich praktisch und tüchtig sein.
Alle schauten Tuwja an. Der sagte, er habe ihn am Freitag zum letzten Mal gesehen, als sie mittags nach der Sitzung der Fakultät zusammen aßen. »Und ich glaube, er hat was über eine Fahrt nach Tel Aviv gesagt, aber ich bin nicht sicher.«
Seine Stimme klang voller als sonst, und Racheli, die insgeheim weiter das Spiel »Voraussagen« spielte, stellte da schon fest, daß »er nicht er selbst war«, daß er sich gleichzeitig distanziert und ungewöhnlich hilfreich zeigte, als er lauter als gewöhnlich zu überlegen begann, wie man Tirosch erreichen könne. Racheli fiel auf, mit welch deutlichem Unbehagen Tuwja Schaj nun auf Aharonowitsch reagierte, der ruhiger war als sonst, sogar in sich gekehrt, und nur sagte, es sei vielleicht sinnvoll, wenn Adina in Tiroschs Zimmer nachsehe, möglicherweise habe er ja irgendeine Nachricht hinterlassen.
Racheli hatte das Gefühl, als hielten sie sich schon seit Stunden im Sekretariat auf,
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