Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
und deutlichen Information auf: »Wegen unerwarteter Umstände finden heute keine Sprechstunden statt«, und schloß die Tür ab. Racheli saß hinter ihrem Schreibtisch, in einer der fünf Ecken des Raumes, vor sich einen Stapel mit grünen Mappen, die noch vom Freitag liegengeblieben waren. Heute hätte sie weitermachen müssen.
Die Arbeit bestand darin, die Namen der Kurse und die Computernummern der Studenten, die Adina sturerweise zu Beginn des Semesters immer mit Bleistift notierte, auszuradieren und mit Kugelschreiber zu ersetzen. Überflüssig zu erwähnen, daß sich Adina dem Computer gegenüber verhielt wie zu einem Instrument, das nur dazu da war, ihr das Leben schwerzumachen. (»Am Anfang des Jahres wissen sie noch nicht so genau, was sie wollen, und wechseln Kurse, deshalb trage ich sie nur mit Bleistift ein, weil es mir leid tut, das Formular zu versauen, später, wenn sie sich fest eingeschrieben haben und ihre Arbeiten abgeben, bessere ich es dann mit Kugelschreiber aus, weil der Bleistift nämlich verblaßt. Das ist zwar doppelte Arbeit, aber so bleibt die Mappe sauber, und das wirst du bei anderen Leuten nicht so schnell finden.«)
Also wurde Racheli an diesem Morgen von den grünen Mappen begrüßt. Als sie ins Zimmer trat, fand sie natürlich Adina schon vor, die, wie üblich, um sieben Uhr gekommen war. Ihre Augen waren rot, und ihr Tisch war leer. Sie teilte Racheli die Neuigkeiten mit und fügte hinzu: »Heute kann man unmöglich arbeiten. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Was für ein Verlust! So ein vielversprechender junger Mann!«
Racheli befahl sich, Adina nicht für ihre Klischees zu verurteilen. Sie hatte die Dinge so zu nehmen, wie sie waren, und ihre Zunge zu hüten.
Sie setzte sich an ihren Tisch und gestand sich ein, daß die Nachricht, obwohl sie Ido Duda'i gemocht hatte und von seinem Tod erschüttert war, sie doch nicht so sehr mitnahm, daß sie nicht arbeiten konnte. Schließlich kannte sie ihn, überlegte sie, nur vom Sekretariat des Fachbereichs und hatte mit ihm immer nur über Dinge gesprochen, die mit der Arbeit zusammenhingen. Sie setzte ein sehr beschäftigtes Gesicht auf, was sich als überflüssig herausstellte, denn Adina achtete gar nicht darauf, was sie tat.
Die Sekretärin selbst konnte nicht mal eine Minute auf ihrem Stuhl sitzen bleiben. Kaum saß sie, da sprang sie auch schon wieder auf. Ihr Tisch stand links vom einzigen Fenster des Raums, gegenüber der Eingangstür, und jede Minute klopfte jemand an. Drei Studenten, die ihren ganzen Mut zusammennahmen, um etwas zu klären. Einer nach dem anderen erhielten sie den üblichen Vortrag: »Erstens sind jetzt keine Sprechstunden, kommen Sie bitte zu den angegebenen Zeiten, weshalb haben wir sonst überhaupt Sprechstunden?« Und dann der Zusatz: »Und außerdem fällt die Sprechstunde heute aus, wie dem Anschlag zu entnehmen ist.«
Der Gesichtsausdruck des letzten Studenten grub sich in Rachelis Bewußtsein ein, der Blick eines Menschen, der vor jemandem steht, der die oberste Macht repräsentiert, und der, obwohl er weiß, daß ihm das schlecht bekommt und er besser verschwinden würde, hilflos stehenbleibt und sich der scheinbar logischen Beweisführung aussetzt. Die Fakultätssekretärin begründete ihre Handlungen immer und drückte sich ihren Opfern gegenüber stets höflich aus.
Wenn es sich um Assistenten und Professoren der Fakultät handelte, wurde ihre Argumentation persönlicher: »Ich muß Sie bitten, draußen zu warten, bis ich mit dem Telefongespräch fertig bin, ich kann nicht gleichzeitig sprechen und nachdenken und Ihnen behilflich sein. Nein, Sie können unmöglich hier sitzen und warten, das lenkt mich zu sehr ab.«
Sie brachte die ehrwürdigsten Professoren dazu, schon an der Tür einen Ausdruck christlicher Demut aufzusetzen. Sobald sie einen von ihnen hereinkommen sah, wurde ihre Stimme höher, ihre Augen zeigten Erschrecken, und dann spielte sich ein festes Ritual ab. Ostentativ räumte sie alle Unterlagen vom Schreibtisch (immer gab es in einer Ecke des Tisches einen ordentlichen Stapel von Aktenordnern und Papieren, den sie bereit war in Angriff zu nehmen: »wenn man mich nur ließe«). Dann legte sie ihre weichen Hände vor sich auf den Tisch und schien mit ihrer ganzen Person auszudrücken: »Hier bin ich und stehe Ihnen zur Verfügung; nichts in meinem Leben ist wichtiger als die Befriedigung Ihrer Bedürfnisse.« Aber niemand ließ sich von dieser Vorstellung täuschen; die
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