Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
einem Raum, der zu klein war für alle, im sechsten Stock des lilafarbenen Teils im geisteswissenschaftlichen Gebäude auf dem Har ha-Zofim, in dem verrückten Gebäudekomplex der Universität, über den Tirosch einmal eine – häufig zitierte – Bemerkung gemacht hatte: »Man müßte den Menschen zum Tod verurteilen, der das alles geplant hat. Gefängnis reicht nicht aus, nur die Todesstrafe.« Bis zu jenem Sonntag hatte man diesen Spruch lächelnd zitiert. (Später schien er nachträglich etwas Schicksalhaftes bekommen zu haben, hatte etwas von tragischer Ironie, ein Ausdruck, den Racheli im Sekretariat mitbekommen hatte.)
Von Zeit zu Zeit ging jemand hinaus und kam mit einer Tasse schwarzen Kaffees zurück, manchmal wurde das leise Gemurmel von einem zögernden Klopfen an der Tür gestört, und ein erschreckter Student steckte den Kopf hinein. Wenn er die versammelten Fakultätsmitglieder sah, verschwand er sofort wieder, bevor Adina noch etwas über die ausgefallene Sprechstunde hatte sagen können.
Die Dozenten der Abteilung waren wie zufällig zusammengekommen, als sie Prüfungsbögen brachten oder Seminararbeiten abholten, aber alle blieben in dem kleinen Raum, verbunden durch den Schock und die Trauer um Ido. Die üblichen Spannungen waren für den Moment verschwunden. Alle haben Ido gemocht, dachte Racheli. Von Zeit zu Zeit brach jemand das Schweigen. Sarah Amir fragte, was mit Ruth sein würde, »und dabei ist die Kleine noch nicht mal ein Jahr alt«.
Dita Fuchs, die ihren lilafarbenen Hut abgenommen hatte und jetzt auf der Kante von Adinas Schreibtisch saß – es gab nicht genügend Stühle im Raum –, fragte wieder und wieder, wozu Ido das gebraucht habe, diese Taucherei. Zu einer anderen Zeit hätte sich Adina aufgeregt, weil Dita Fuchs auf dem Tisch saß, doch heute übersah sie das großzügig.
Racheli beobachtete Dita Fuchs interessiert; sie sog den Duft ihres süßen Parfüms ein und erinnerte sich an das Gerücht, daß sie Tiroschs längstes Liebesverhältnis gewesen sei. Vor vielen Jahren, hatte Racheli gehört, seien sie unzertrennlich gewesen, und auch nachdem sie ihre Beziehung beendet hatten, standen sie sich noch ziemlich nahe. Die Gesichtszüge von Dita Fuchs zeigten weiblichen Charme und Spuren von Leid, eine Kombination, die ihr, besonders an diesem Morgen, etwas Pathetisches verlieh, ganz im Gegensatz zu der gönnerhaften Freundlichkeit, mit der sie jeden behandelte.
Erst hier, im Sekretariat, hatte Dita Fuchs von dem Unglück erfahren. Racheli war Zeugin ihres hemmungslosen Weinens gewesen, hatte die zarte Hand gesehen, die sich an den Hals gefaßt hatte, als Dita sagte: » Ich habe gewußt, daß sie in einer Katastrophe enden würde, diese Taucherei. So ein begabter junger Mann. Wozu hat er das gebraucht?«
Adina kochte ihr einen starken Tee und streichelte ihr sogar über den Arm. Normalerweise herrschte zwischen den beiden ein abgrundtiefer Haß, der seinen Ausdruck in der zuckersüßen Freundlichkeit fand, mit der sie sich gegenseitig behandelten, und in den ausgeklügelten bürokratischen Hürden, die Adina vor den Studenten von Dr. Fuchs aufhäufte. Als Tuwja hereinstürzte, hatte sich Dita Fuchs schon etwas beruhigt, sie saß auf der Tischkante und strich sich ständig unsichtbare Falten aus dem engen Rock. »Wo ist Scha'ul?« hatte sie hilflos gefragt. Und Racheli hatte gedacht: Als brauchten sie alle dringend einen mächtigen Vater, der die Dinge in die Hand nimmt und alles organisiert. Ihr war nicht klar, was organisiert werden müßte, aber etwas von der Last, die sie alle bedrückte, senkte sich auch auf Racheli und trübte das klare Urteilsvermögen ein wenig, auf das sie sonst so stolz war. Es war schrecklich, erwachsene Menschen in solcher Bedrängnis zu sehen, daß sie nicht mehr wußten, was sie sagen sollten.
Sarah Amir war die erste im Zimmer, die den Namen Arie Klein erwähnte. In ihrer berühmten Direktheit platzte sie in einem Moment des Schweigens heraus: »Schade, daß Arie nicht da ist. Er hätte sich um alles gekümmert, wie es sich gehört. Was für ein Glück, daß er übermorgen zurückkommt.« Dita Fuchs seufzte, und Adina sagte, wie immer, wenn sein Name fiel: »Was für ein Mann!« Dreimal hintereinander.
Racheli hatte Professor Klein, der das letzte Jahr an der Columbia University in New York verbracht hatte, noch nicht kennengelernt, wartete aber begierig darauf. Im Laufe der zehn Monate, die sie in dieser Abteilung arbeitete, von September
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