Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
sie ist ein nettes Mädchen. Überhaupt nicht versnobt, nur scheu und unsicher. Seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe, und das ist Jahre her, trägt sie immer diese schwarzen Sachen. Auch als kurze, weite Kleider in Mode waren, hat sie einen engen schwarzen Strickrock getragen, und diese Blusen, dünne Sandalen, auch im Winter, und immer hat sie Nelsons geraucht, nie hat sie sich auf den Rasen gelegt, immer war sie in der Bibliothek und ging nur hinaus, um eine Zigarette zu rauchen, und in den Pausen hat sie in der Cafeteria immer an einem Tisch in der Ecke gesessen, immer nur mit einer Tasse Kaffee. Was soll ich dir sagen, sie ist wirklich was ganz Besonderes!«
An Zipis Fröhlichkeit merkte Racheli, daß sie noch nichts wußte.
Sie trat ins Sekretariat, schwenkte die Unterlagen, die sie in der Hand hielt, und verkündete: »Das war's! Ich habe das Jahr hinter mir! Ich schwöre euch, daß ich nie mehr Bibliographieren unterrichte.« Dann bemerkte sie die Stille im Zimmer, die ernsten Gesichter, und fragte: »Was macht ihr eigentlich alle hier? Ich bin nur gekommen, um die Prüfungsfragen abzugeben. Ist was passiert?« Sie machte noch ein paar Schritte ins Zimmer, und Ja'el folgte ihr.
Beide standen vor der Fertigstellung ihrer Doktorarbeit. Zipi schrieb über die Stellung der Frau in der Volksliteratur und gehörte, wie man so sagte, Aharonowitsch. Ja'el, deren Thema hebräische Stegreifdichtung in der Literatur des Mittelalters war, wurde als persönliches Eigentum von Arie Klein betrachtet.
Von den zehn Doktoranden der Fakultät waren nur vier als Assistenten ausgesucht worden. Sie waren zwar in verschiedenen Bereichen tätig, doch allen war erklärt worden, daß aufgrund der letzten Kürzungen nur noch einem von ihnen ein Platz zur Verfügung stünde, um eine »glatte« akademische Karriere zu machen. Für die anderen gebe es keinen Etat mehr. Die älteren Dozenten sahen in ihnen ihre geistigen Erben und vor allem den konkreten Ausdruck ihres Erfolges in der Literaturforschung. Obwohl alle wußten, daß nur einer von ihnen nach der Promotion eine Stelle als Dozent bekommen konnte, war es ihnen gelungen, untereinander ein enges und gutes Verhältnis zu bewahren, ohne einander zu verleumden, und Racheli hatte sich oft gefragt, ob das nicht eigentlich Thema einer besonderen wissenschaftlichen Studie sein könnte.
Sarah Amir strich ihr geblümtes Kleid glatt. Ihre klugen braunen Augen richteten sich zuerst auf Zipi, dann auf Ja'el – Racheli war das besorgte Aufblitzen in ihren Augen bei Ja'els Eintritt nicht entgangen –, dann sagte Sarah schließlich, ohne den Blick von Ja'el zu wenden: »Ido ist nicht mehr da.«
»Was heißt das, ist nicht mehr da?« fragte Zipi, und ihre Hand begann zu zittern, doch alle schauten Ja'el an, deren weißes Gesicht durchsichtig wurde und deren Lider zu zukken begannen. »Sie ist psychisch nicht sehr stark«, erinnerte sich Racheli an eine Bemerkung von Dita Fuchs, und sah von einem zum anderen. Alle hielten den Atem an, als Sarah Amir in ihrer unverblümten Art sagte: »Er ist bei einem Taucherunfall umgekommen.«
Adina machte den Mund auf, und Racheli wußte, daß sie die bekannten Sätze sagen wollte, von den Einzelheiten, die nicht bekannt seien, aber Adina besann sich, als Aharonowitsch ihr unter zusammengezogenen Brauen einen Blick zuwarf. Mit einer Zartheit, die man sonst nicht an ihm kannte, nahm er Ja'els Arm und führte sie zum offenen Fenster, durch das allerdings nicht der kleinste Windhauch hereindrang. Er zog sie an seine Schulter und streichelte ihr zärtlich den Arm, während Adina schnell ein Glas Wasser aus dem Flur nebenan holte. Niemand achtete auf Zipi, die den Stapel mit Blättern fallen ließ und in lautes, heiseres Weinen ausbrach. Ja'el stand am Fenster und sagte kein Wort, ihr Körper war wie erstarrt. Adina hielt ihr das Glas Wasser hin, dann wandte sie sich schließlich an Zipi und hielt ihre kleine Aussprache bezüglich der Einzelheiten und der Beerdigung. Sie beendete sie mit der Frage, ob Zipi den Dekan der Fakultät gesehen habe, und Zipi schüttelte den Kopf und murmelte schluchzend: »Ich suche ihn auch, ich komme gerade von seinem Zimmer, aber da ist er nicht, das Zimmer ist abgeschlossen, ich war für heute morgen mit ihm verabredet.«
Ja'el schüttelte Aharonowitschs Hand ab und sagte mit ihrer glockenreinen Stimme – Tirosch hatte einmal in Rachelis Anwesenheit gesagt, wie schade es sei, daß sie nicht singen gelernt habe, dann hatte
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