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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Schlafzimmer und nicht in dem kleinen Wohnzimmer, das sie mit Möbeln aus dem Kibbuz eingerichtet hatten, die ihr, bevor sie Tirosch kennengelernt hatte, immer gut genug vorgekommen waren. Plötzlich fiel ihr ein, daß Ido Duda'i umgekommen war, so hatte Tuwja es ausgedrückt, bevor er das Haus verlassen hatte. Der Satz »Ido Duda'i ist umgekommen« klang wie ein Echo in ihrem Bewußtsein nach, brachte jedoch den Eisblock in ihrem Inneren nicht zum Schmelzen. Dann erinnerte sie sich an die Worte »bei einem Taucherunglück« und griff sich an den Hals, als sie vor sich das blaue, tiefe Wasser sah und an Atemnot dachte. Während der ganzen Zeit stand sie in der Küche und hielt das Brotmesser in der Hand, doch sie hatte keine Kraft, sich von dem harten, alten Laib eine Scheibe abzuschneiden. Tuwja hatte kein Brot gekauft.
    Sie schaute auf die große Uhr an der Wand, ein Geschenk von Tuwjas Eltern. Es war zehn vor vier, und sie überlegte, daß Tuwja vielleicht nicht zurückkommen würde, nach Scha'uls Beichte. Dieser Gedanke machte ihr schon keine Angst mehr. Wieder griff sie sich an den Hals. Etwas anderes, nicht Tuwjas Abwesenheit, machte ihr angst. Sie wußte nicht, was es war, fühlte nur, wie schwer ihr Atem ging, und setzte sich auf den resopalbeschichteten Stuhl. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, ließ es auf den Küchentisch sinken, dessen Resopalplatte mit Staub bedeckt war, und kämpfte gegen die Vorstellung von Scha'uls Gesicht: das spöttische Lächeln, das sich immer mehr verzerrte, bis der Mund zu einem Schrei aufgerissen war. Und dann schob sich das tote Gesicht Ido Duda'is über das Bild.

Viertes Kapitel

    Im Laufe des Vormittags kamen die Dozenten einer nach dem anderen ins Sekretariat, und an ihrem Gesichtsausdruck merkte Racheli, ob sie die Nachricht schon mitbekommen hatten oder nicht. Tuwjas Anblick machte ihr eine Gänsehaut. Seine wäßrigen Augen waren blutunterlaufen, als habe er eine ganze Nacht durchgefeiert, wobei sogar Racheli, die Bürohilfe des Sekretariats, wußte, daß Dr. Schaj seine Nächte nicht durchfeierte. Die Art, wie er hereinplatzte, der gehetzte, verzweifelte Blick, den er über die Gesichter der Anwesenden gleiten ließ, die zerbrochene Stimme, als er fragte, ob weitere Einzelheiten bekannt seien, verwirrten Racheli.
    Der sonst so ruhige, bis zur Langeweile bescheidene Mann sah jetzt irgendwie nackt aus. Seine Kleidung war zerknittert, als habe er darin geschlafen, graue Bartstoppeln bedeckten seine Wangen, seine dünnen Haare hätten einen Kamm nötig gehabt. Adina Lifkin bemerkte das alles, aber sie hütete sich, einen Kommentar abzugeben. Schließlich – so hätte sie sicher gesagt, wenn man sie gefragt hätte – war ja eine Katastrophe passiert.
    Es sei nicht nur ihr Sinn für Humor, der sie rette, sagte Racheli zu Dovik, der ihr den Arbeitsplatz verschafft hatte und seiner Verwunderung Ausdruck gab, daß sie so lange durchgehalten hatte. »Zehn Monate! In den letzten beiden Jahren hatte die Lifkin schon fünf Assistentinnen, und alle sind geflohen«, sagte Dovik, der in der Personalabteilung der Universität arbeitete.
    Nein, Sinn für Humor reichte nicht, um fast ein Jahr lang die Launen Adina Lifkins auszuhalten. Lustigere Menschen als sie, behauptete Racheli, seien im Sekretariat zusammengebrochen und hätten vor Wut gebrüllt, als sie die Tür hinter sich zugeschlagen hatten. »Nur meiner wissenschaftlichen Neugier und der Tatsache, daß ich gerade eine Seminararbeit über zwanghafte Persönlichkeiten schreibe, ist es zu verdanken, daß ich es hier aushalte«, erklärte sie.
    Racheli war Studentin für Psychologie im sechsten Semester und stand kurz vor dem Diplom. Über ihre Arbeit in der Abteilung Literatur sprach sie nur entschuldigend: »Alles in allem ist es eine bequeme Arbeit, ich habe mit ihr eine Abmachung wegen der Stunden, die ich zu den Vorlesungen gehe, sie mag es sowieso nicht, wenn jemand während der Sprechstunden im Zimmer ist. Aber was mich umbringt, sind die mitleidigen Blicke der anderen Sekretärinnen auf dem Campus. Jedesmal wenn ich in ein Büro komme und sage, daß sie mich geschickt hat, geraten die Leute in Panik und beeilen sich, mich wieder loszuwerden, und dann schauen sie mich an, als kehre ich in irgendein Straflager zurück.«
    Ausgerechnet heute, sagte sich Racheli in einem Versuch, von der Katastrophe unberührt zu bleiben, funktionierte Adina vorbildlich. Schon morgens um acht Uhr hängte sie einen Zettel mit der klaren

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