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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Zimmer. Sie starrte ihn verständnislos an. »Meinen Sie die Möbel? Die Bücher?« fragte sie.
    »Sie haben doch ein ausgezeichnetes Gedächtnis«, sagte Michael mit dem passenden Lächeln, »ich nehme an, Sie können mir alle Gegenstände in seinem Zimmer beschreiben, so wie Sie sich an sie erinnern. Was, zum Beispiel, befand sich alles auf seinem Schreibtisch?«
    Einige Sekunden vergingen, bevor sie antwortete: »Aber ich bin nie drin gewesen, wenn er nicht da war.«
    »Aber Sie waren doch sicher mit ihm zusammen dort«, sagte Michael ermutigend. »Wir alle wissen doch, wie das ist, manchmal ist es leichter, jemanden in seinem Zimmer aufzusuchen als ihn anzurufen.« Sie nickte.
    »Ach so, einen Moment, lassen Sie mich nachdenken«, sagte sie, und auf ihrer Stirn erschienen Falten vor Anstrengung. Dann schaute sie ihn mit ihren hellen Augen an und sagte: »Gut, ich glaube, ich habe das Bild jetzt vor mir.«
    Michael wußte, daß er ab diesem Moment geduldig warten mußte, bis sie fertig war. Niemand, das war ihm klar, würde ihm Tiroschs Zimmer besser beschreiben können als sie.
    Sie beschrieb die Bücher, sogar das Regal mit den Gedichten (auch wenn sie nicht wußte, welche Bücher dort standen), und die »Standardmöblierung«, wie sie es nannte. Michael machte sich eifrig Notizen. Schließlich kam sie auf die »anderen Sachen« zu sprechen, den mexikanischen Teppich (ihre Tochter hatte einen ganz ähnlichen aus Mexiko mitgebracht, obwohl sie persönlich, wenn man sie frage, Teppiche nicht besonders mochte, weil sie einfach Staubfänger seien und in unserem Klima überflüssig, vor allem im Sommer, im Winter ist das eine andere Sache, besonders in Jerusalem) und die indische Skulptur, so ein Ding aus Metall, sehr schwer, sie hatte es einmal hochgehoben, um es ein bißchen vom Rand des Schreibtischs wegzuschieben. (Und wieder sagte sie, das sei natürlich Geschmackssache, aber sie persönlich finde, so etwas gehöre nicht in ein Büro, das sei schließlich ein öffentlicher Raum, und obwohl immer alle sagten, daß Professor Tirosch einen ausgezeichneten Geschmack habe, habe sie persönlich immer gedacht, daß so ein Gegenstand unpassend sei. Sie sage nicht, er sei nicht schön oder wertlos, aber es sei nicht der richtige Platz, wenn er verstehe, was sie meine. Er verstand es.) Sie beschrieb den Platz für den Feuerlöscher, sogar das Telefon vergaß sie nicht.
    Und dann wurde es still im Zimmer. Sie hatte alles gesagt. Wenn ihr noch etwas einfalle, sagte sie, würde sie gerne behilflich sein. »Ich hoffe, ich habe Ihnen helfen können, meine Aussage hat etwas genützt, ich war bis jetzt noch nie bei der Polizei.«
    Michael murmelte ein paar Worte, sie habe ihnen sehr geholfen, und stand auf, bevor sie noch etwas sagen konnte. Er begleitete sie zur Tür und verabschiedete sich mit einstudierter Höflichkeit von ihr, etwas, was ihm die Röte ins Gesicht trieb und ihn verlegen lächeln ließ. Nachdem er die Tür hinter ihr geschlossen hatte, stürzte er sich auf die Schachtel mit den Zigaretten, machte das Aufnahmegerät aus und rief die Spurensicherung an. Es dauerte ein paar Minuten, bis Pnina ihm versicherte, sie hätten keine indische Skulptur in Tiroschs Zimmer auf dem Har ha-Zofim gefunden.
    Rafi Elfandari stürzte ins Zimmer, als er gerade den Hörer auflegte. Michael betrachtete ihn erstaunt. Seiner Berechnung nach hätte Rafi mitten in einem Verhör sein müssen. Und so war es auch.
    »Komm und sieh selbst«, antwortete er stur auf Michaels Fragen. Seine hellen Haare fielen ihm in die Stirn, und er schnaufte heftig, als wäre er gerannt. »Alles lief gut, mit Kalizki, mit Aharonowitsch, bis ich mit ihr angefangen habe. Aber komm und sieh selbst.«
    In dem engen Flur saß Tuwja Schaj und starrte mit leblosem Blick vor sich hin. Michael entschuldigte sich nicht bei ihm, er folgte Elfandari in das Zimmer, in dem Ja'el Eisenstein saß, in einem schwarzen Strickkostüm, das ihre Blässe zusätzlich betonte. Das Zimmer war klein und schien völlig überfüllt zu sein, obwohl nur drei Stühle und ein Tisch darin standen. Sie saß mit übergeschlagenen Beinen da, ein Knie über dem anderen, und ihre Knöchel sahen in den schwarzen, zierlichen Sandalen schmal und weiß aus. Mit ihren großen blauen Augen sah sie ihn gelassen an.
    Ihre Schönheit schockierte ihn. Ihm stockte der Atem. Einige Sekunden lang betrachtete Michael ihre weiße Haut, die aussah, als wäre sie nie der Sonne Israels ausgesetzt gewesen, die

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