Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
angenommen, daß Ihnen das Militär oder die Meinung von anderen wichtig ist.«
»Ist es auch nicht. Aber ich habe eine ganz besondere Beziehung zu meinem Privatleben, ich will nicht«, hier wurde ihre zarte, klangvolle Stimme zum ersten Mal lauter, »daß jeder Polizist an diesem häßlichen Ort etwas über mich weiß.«
Michael erinnerte sich nun an die ganze Geschichte und fragte: »Sie sind später noch einmal in eine Klinik eingeliefert worden, stimmt's?«
Ihre blauen Augen starrten ihn erschreckt an, die roten Flecken verschwanden von ihren Wangen, und schließlich sagte sie: »Nein, nur damals.« Da soll man sich auf den Computer verlassen, auf die Informationen vom Nachrichtendienst, dachte Michael. Sie sagen immer, es liege nichts Besonderes vor – der Computer lügt nie!
»Wie lange waren Sie damals in der Klinik?«
»Zwei Wochen. Nur zur Untersuchung. Aber das war der einzige Weg, vom Militär freizukommen, und es war klar, daß ich nicht dort bleiben würde. Ich konnte die ganze Häßlichkeit nicht ertragen.«
Sie erschauerte, zog aus der kleinen, grauen Ledertasche, die ihr über die Schulter hing, ein goldenes Feuerzeug heraus und zündete sich eine Zigarette an.
Wieder registrierte Michael ihre außergewöhnliche Schönheit, die überhaupt nicht zu diesem Ort paßte. Eine überirdische Schönheit, dachte er. Ihm fiel Tiroschs Haus ein, das auf eine unerklärliche Art mit dieser Schönheit in Verbindung stand, mit diesen zarten Fesseln, mit diesen Augen und mit dieser Stimme. Er betrachtete ihre vollen, runden Brüste und den schmalen Körper und dachte an die schwarze Madonna. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, doch er empfand keine Lust, sie zu berühren, und bereits zu diesem Zeitpunkt wunderte er sich, warum ihre Schönheit kein körperliches Verlangen in ihm weckte, nur den Wunsch, sie immerfort zu betrachten. Laut fragte er: »Und wer behandelt Sie heute?« und bedauerte es sofort.
Es war, als falle ein Vorhang vor ihrem Gesicht herunter, es bekam einen eisigen Ausdruck, dann sah sie wieder so gelassen aus wie vorhin, als er das Zimmer betreten hatte. Sie machte sich nicht die Mühe zu antworten. Ich wäre weitergekommen, dachte er, ich hätte mit dieser Frage warten sollen. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme sanft: »Das geht Sie nichts an. Das ist streng vertraulich. Er würde ohnehin nicht mit Leuten wie Ihnen sprechen. Vom Arztgeheimnis haben Sie doch wohl gehört, nicht wahr?«
»Sagen Sie, waren Sie bei der Fakultätssitzung am Freitag nachmittag?« fragte er und nahm ihr den Wind aus den Segeln.
Ja, sie war dort gewesen.
»Haben Sie Professor Tirosch gesehen?«
»Ja natürlich, er war bei der Sitzung.«
»Hat er so wie immer gewirkt?«
»Was meinen Sie damit? Was heißt ›so wie immer‹?« fragte sie und hielt ihm einen langen, ernsthaften Vortrag darüber, mit derselben sanften Stimme, daß Menschen nie immer gleich aussähen, daß jeder an jedem Tag anders aussähe.
Michael betrachtete sie, während sie sprach, ihre roten Lippen ohne eine Spur von Schminke, und fragte sich wieder, warum er keine Lust verspürte, sie zu berühren.
Ihr fehlt menschliche Wärme, entschied er, und fragte: »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Auf der Sitzung am Freitag«, antwortete sie nervös, deshalb fragte er: »Und später?«
Mit ihrer sanften Stimme wiederholte sie: »Und später?« Michael schwieg. »Was meinen Sie damit?« fragte sie zunehmend nervöser.
»Vielleicht haben Sie ihn nach der Sitzung noch einmal gesehen? Vielleicht haben Sie was von ihm gehört? Vielleicht waren Sie in seinem Zimmer?«
»Am Freitag, nach der Sitzung, bin ich mit dem Taxi zu meinen Eltern gefahren.«
»Wo wohnen Ihre Eltern?«
Sie gab keine Antwort auf seine Frage, er wiederholte sie. Wieder antwortete sie nicht.
Es war schon ein Uhr mittags. Ohne ein Wort zu sagen, verließ Michael das Zimmer. Rafi Elfandari befand sich im Raum nebenan. »Vergeude nicht den ganzen Tag mit ihr«, sagte Michael, nachdem er ihm kurz das Wichtigste berichtet hatte. »Versuche nur herauszubekommen, wo ihre Eltern wohnen, wann das Taxi sie von der Universität abgeholt hat, was sie am Freitag getan hat. Und sag ihr, daß wir mit ihr einen Test mit dem Lügendetektor machen wollen, und informiere sie, zu welchen Themen wir sie befragen werden. Von mir aus kann sie ihren Rechtsanwalt mitbringen.«
Vor der Tür zu seinem Zimmer stieß er auf Dani Balilati. »Ich habe dich gesucht, komm einen
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