Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
weder damals noch später. Tuwja stellte keine Fragen, und Ruchama lieferte keine Erklärung.
In der Tiefe ihres Herzens dachte sie, dies sei das Geheimnis, das die Leute der Fakultät und die Literaten des Landes nur gar zu gern in allen Einzelheiten aufgedeckt hätten. Niemand wagte es, den Akteuren dieses Dramas eine Frage zu stellen. Ruchama Schaj wirkte mit ihren einundvierzig Jahren immer noch jung. Die kurzgeschnittenen Haare und der mädchenhafte Körper gaben ihr das Aussehen einer Frucht, die, nie ganz ausgereift, auf das Vertrocknen wartete. Auch sie selbst bemerkte die beiden tiefen Falten; die sich allmählich in ihren Mundwinkeln bildeten und ihr das verliehen, was Tirosch schon »dein weinendes Clownsgesicht« nannte.
Sie wußte, daß man ihr ihr Alter nicht ansah, zum einen wegen der Jeans und der Männerhemden, die sie trug, zum anderen auch, weil sie sich nicht schminkte. Sie war anders als die »weiblichen Frauen«, mit denen Tirosch vor ihr zusammengewesen war. Er selbst sprach nicht über seine früheren Affären, auch nicht von denen, die er immer noch hatte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie ihn zufällig durch das Fenster eines kleinen Cafes gesehen, wie er sich mit der Hand über die Silbertolle strich, während er Ruth Duda'i, Idos junger, rundlicher Frau, tief in die Augen sah.
Sie kannte den konzentrierten, leidenden Ausdruck in seinem Gesicht nur zu gut. Das Gesicht Ruths, einer Doktorandin der philosophischen Fakultät, konnte sie nicht sehen. Er bemerkte Ruchama nicht, die das Gefühl hatte, zu spionieren, und schnell verschwand.
Obwohl ihre Beziehung immer intimer geworden war, gab es doch Dinge, über die sie nicht mit ihm reden konnte. So sprach sie nie über ihre Gefühle gegenüber Tuwja, über ihr Eheleben, und sie sprach nie mit ihm über sein Verhältnis zu ihrem Mann und die Exklusivität dieser Verbindung. Die wenigen Versuche, die sie unternahm, um etwas über die Qualität dieser besonderen Beziehung zu erfahren, blieben erfolglos. Er reagierte einfach nicht. Sein Blick versank in »unbekannte Fernen«, wie er es nach einem bekannten Lyrikband ausdrückte, und er schwieg. Einmal, als sie sich laut über die »Situation« wunderte, wie sie die komplizierte Dreiecksbeziehung nannte, deutete er auf die Tür, als wolle er sagen: Geh, ich zwinge dich zu nichts, du bist frei zu gehen.
Bei gesellschaftlichen Anlässen traten sie zu dritt auf, nur wenige Male war sie allein dabei, wenn er sich mit jungen Dichtern traf. Er verbrachte viel Zeit mit diesen Leuten, und Gerüchte sagten, er tue das vor allem, seit er selbst aufgehört habe zu schreiben. Die Klatschmäuler, die sich hüteten, in Tuwjas Anwesenheit ein Wort zu sagen, verloren jede Hemmung, wenn er nicht dabei war. Das war ihre Art, sich an ihr, Ruchama, dafür zu rächen, daß sie mit niemandem über ihre Beziehung zu Tirosch sprach.
In Wahrheit war sie ein introvertierter Mensch, ohne Interesse an Literatur, wie sie Tuwja vor langer Zeit im Kibbuz erklärt hatte. Sie las viel, aber keine Lyrik. Gedichte bereiteten ihr nicht den gleichen Genuß wie Tuwja. Die rätselhafte Welt der Lyrik war ihr verschlossen, war ohne Bedeutung. Am liebsten las sie Detektivromane oder Bücher über Spionage, in denen sie kritiklos versinken konnte.
Sie hatte keine engen Freundinnen, nur Bekannte, einige Frauen, mit denen sie in der Krankenaufnahme der Klinik Scha'arei Zedek arbeitete. Mit ihnen verband sie nur die Arbeit, und die Kolleginnen interpretierten Ruchamas Passivität als einzigartige Fähigkeit des Zuhörenkönnens und der Empathie und erzählten ihr oft von ihren familiären Schwierigkeiten.
Im Laufe der Zeit war Ruchama klargeworden, daß die Menschen um sie herum ihren Mangel an Vitalität als tiefe Traurigkeit betrachteten, daß viele sie sehr interessant fanden und sich bemühten, ihr Geheimnis zu entschlüsseln. Die Frauen, mit denen sie zusammenarbeitete, vor allem Zipora, eine mütterliche, füllige Frau, die ihr während der Arbeit oft Tee kochte, glaubten, daß diese »Traurigkeit« daher komme, daß sie keine Kinder hatte. Aber Ruchama selbst litt nicht darunter.
Bis sie Tirosch kennenlernte, bis vor zehn Jahren, lebte sie mit Tuwja im Kibbuz, tat jede Arbeit, die ihr zugeteilt wurde, und verzichtete von vornherein auf unerfüllbare Wünsche.
Der Umzug nach Jerusalem, damit Tuwja, der vorher im Oranim-Kibbuz-Seminar und später an der Universität in Haifa studiert hatte, sein Studium dort abschließen
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