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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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hatte, um Lehrer im Kibbuz zu werden. Und im ersten Jahr war Aharonowitsch noch Juniordozent, der verzweifelt versuchte, eine feste Stelle zu bekommen, und Tuwja gegenüber eine Väterlichkeit an den Tag legte, die dieser sich bereitwillig gefallen ließ.
    Tirosch hatte seine Einführung beendet, und nun stand Tuwja auf, um seinen Vortrag zu halten. Ruchama war nicht zu Hause gewesen, als er sich auf den Weg zur Vorlesung gemacht hatte, aber sie wußte auch so, daß er sich dafür nicht umziehen würde. Das kurzärmlige Hemd ließ zwei magere, blasse Oberarme sehen und verbarg nur mit Mühe den kleinen Bauch. Schweißtropfen perlten auf seiner hohen Stirn, an der Strähnen seines farblosen Haars klebten.
    Er mußte die erste Vorlesung halten. Nach ihm würde Ido Duda'i sprechen, einer der jungen Dozenten des Fachbereichs, dessen Doktorarbeit, die er bei Professor Tirosch schrieb, große Erwartungen weckte.
    Im Vergleich zu Scha'ul, dachte Ruchama – nicht zum ersten Mal –, sieht Tuwja aus wie eine bescheidene Ausgabe von Sancho Pansa. Nur daß Scha'ul natürlich nicht Don Quichotte ist. Allein die Stimme, dachte sie enttäuscht, zeigt deutlich den Unterschied.
    Die Stimme ihres Mannes, der seinen Vortrag zum Thema »Was ist ein gutes Gedicht?« begonnen hatte, brach, als er mit Pathos das Gedicht Zufälliger Ausflug ins Grab meines Herzens von Scha'ul Tirosch las. In diesem Gedicht drückte Tirosch nach Ansicht der Kritiker seine »verborgene romantisch-makabre Lebensauffassung« aus. Die Kritiker betonten die »erstaunlich originellen Bilder« und sprachen von »linguistischen Errungenschaften und neuen Themen«, mit denen Tirosch die Lyrik der fünfziger Jahre revolutioniert habe. Natürlich sei er nicht der einzige gewesen, aber er sei herausragend und völlig anders, erklärte Tuwja mit seiner monotonen Stimme.
    Ruchama schaute sich um. Die Spannung im Saal war verschwunden, als hätte jemand das Licht ausgemacht. Die Zuhörer lauschten mit höflicher Konzentration. Die Gesichter der Frauen, auch der jüngeren, zeigten noch einen Widerschein des Eindrucks, den Scha'ul Tirosch auf sie gemacht hatte, und ihre Augen waren immer noch auf ihn gerichtet. Man hätte nicht sagen können, daß sie Tuwja keine Aufmerksamkeit schenkten, doch es war die wohlerzogene Aufmerksamkeit, die sich auf bekannte, vorhersagbare Dinge richtete. Man wußte von vornherein, welches Gedicht Dr. Tuwja Schaj, einer der älteren Dozenten des Fachbereichs, wählen würde, um seine Auffassung von einem guten Gedicht darzulegen. Mit halbem Ohr hörte Ruchama den gelehrten Ausführungen zu, die sie schon viele Male gehört hatte, wenn ihr Mann leidenschaftlich über Tiroschs Dichtung sprach.
    Man konnte sich keine größere Loyalität und Bewunderung vorstellen, als Tuwja sie Scha'ul Tirosch entgegenbrachte. Verehrung, das ist das richtige Wort, dachte Ruchama. Einige nannten ihn Tiroschs »Alter ego«, andere sprachen von seinem »Schatten«, und es bestand eine allgemeine Übereinkunft, daß es besser sei, in Tuwja Schajs Anwesenheit kein Wort der Mißbilligung, der Kritik oder des Spotts über Tirosch zu verlieren. Tuwja wurde flammendrot, und in seinen Mäuseaugen glitzerte Wut, wenn jemand etwas zu sagen wagte, das einen gewissen Mangel an Bewunderung für den Dekan seiner Fakultät verriet.
    Während der letzten drei Jahre, in denen sie ein Verhältnis mit Tirosch hatte, hatte der Klatsch zugenommen. Ruchama merkte es an dem Schweigen, das entstand, wenn sie einen Raum betrat, oder bei Festen der Mitglieder der Fakultät, an den schnellen, freundlichen Antworten und an dem wissenden Lächeln Adina Lifkins, der Sekretärin. Sie bemerkte auch, daß der Klatsch eine neue Dimension bekommen hatte: die Empörung angesichts der Beziehung zwischen Tuwja und Tirosch.
    Doch Tuwja hatte seine Haltung nicht geändert, nicht einmal an jenem Tag, als er sie auf dem Sofa im Wohnzimmer ihrer Wohnung ertappt hatte, sie mit halboffener Bluse, die sie mit bebenden Händen zuknöpfte, und Scha'ul mit einem Feuerzeug in der zittrigen Hand. Tuwja lächelte verlegen und fragte, ob sie Lust hätten, etwas zu essen. Scha'ul stand auf und folgte Tuwja in die Küche. Sie saßen den ganzen Abend friedlich am Küchentisch, mit belegten Broten, die Tuwja vorbereitet hatte. Über die hastig zugeknöpfte Bluse wurde kein Wort verloren, auch nicht über das dunkle Jackett, das samt Krawatte über einen Sessel geworfen worden war. Nie hatten sie darüber gesprochen,

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