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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Stifte in der Hand. Wieder leuchteten die hellen Augen des jungen Studenten auf, den Schaj von Zeit zu Zeit anschaute, wenn er die Augen nicht auf irgendeinen Punkt an der Wand oder auf den Text heftete.
    »Absalom«, sagte Tuwja Schaj, »Absalom tötete Amnon, weil er Thamar vergewaltigt hatte. Die Tötung war lange vorbereitet, sie war nicht die Tat eines Hitzkopfes. Zwei Jahre hatte er sie geplant, und erst als er schließlich seine Schwester Thamar rächte, erst dann stellte sich heraus, wieviel Zorn in ihm war. Aber ist es nicht klar, daß er das tat, was eigentlich sein Vater, König David, hätte tun müssen?« Er betrachtete das Gedicht und flüsterte: »Drei Jahre! Drei Jahre sitzt der geliebte Sohn Davids in Geschur, und dann ist es Joab, der seine Rückkehr nach Jerusalem veranlaßt, Joab, nicht David! Und es gibt zwischen ihnen, zwischen David und Absalom, eine äußerst kühle Versöhnung, wie wir aus dem immer wiederkehrenden Wort ›der König‹ bei der Beschreibung ihrer Versöhnung erfahren, einer so kühlen Versöhnung.«
    Michael griff nach dem kleinen Aufnahmegerät in seiner Hemdtasche. Er fragte sich, was Elfandari wohl davon halten würde, der im Auto saß und die Stimmen aufnahm. Dann dachte er an die monotone Stimme Tuwja Schajs, die er vom Verhör in seinem Zimmer kannte. Derselbe Mensch, plötzlich voller Leben, voller Gefühl. Und worüber er sprach! Aber, erinnerte er sich selbst, diese Vorlesung war schon seit langem vorbereitet, lange bevor hier jemand ermordet wurde. Trotzdem! Man muß ihn nur anschauen, könnte er nicht in einem Ausbruch von Wut ein Gesicht zerschmettern? Ist das der Mann ohne Eigenschaften? Ist er sich meiner Anwesenheit wirklich nicht bewußt? Kann es sein, daß ihm nicht klar ist, welche Seite seiner Persönlichkeit er gerade offenlegt, was für ein Potential?
    Und dann traf der Blick aus Tuwja Schajs hellen, wäßrigen Augen den Blick Michaels, als könne er seine Gedanken lesen. In seinen Augen lag keine Angst, ein Irrtum war ausgeschlossen. Sie zeigten Freude über die Entschlüsselung, Entzücken wegen der eigenen Fähigkeit, alles in Worte zu fassen.
    »Absaloms Ende ist tragisch und ironisch zugleich«, sagte Tuwja Schaj. »Er, der so verliebt war in seine Haare, fand den Tod ausgerechnet durch diese Haare.«
    »Dazu gibt es eine Auslegung«, sagte die ältere Frau, die bisher geschwiegen hatte. Sie saß in der Mitte des U, und Michael sah ihr aufgewühltes Gesicht.
    »Ja«, sagte Schaj freudig. »Erinnern Sie sich an sie?«
    »Unsere Weisen haben gesagt, im Traktat Sota, glaube ich«, sagte die Frau mit einer angenehmen Stimme, »Absalom habe sich mit seinen Haaren gebrüstet, und deshalb sei er an seinen Haaren aufgehängt worden.«
    Tuwja Schaj nickte heftig. Man konnte unmöglich übersehen, daß sein Gesicht vor Glück strahlte.
    »Jetzt können wir zu dem Gedicht selbst kommen«, sagte er. Und dann sah sich Michael der langen Erörterung eines Begriffes ausgesetzt, den Schaj an die Tafel schrieb. »Zeugma«, mit hebräischen und mit lateinischen Buchstaben. Ausführlich erklärte er, wie Syntax und Aufbau eines Gedichtes seine Bedeutung schaffen.
    »Obwohl die syntaktischen Gegebenheiten offenbar die Anwesenheit eines Sprechers in dem Gedicht betonen sollen«, sagte Schaj und rieb sich den Kreidestaub von den Händen, »hat man das Gefühl, als verberge sich das Subjekt des Verses ausgerechnet in dem Teil des Satzes, der eigentlich, von der Syntax her gesehen, das Objekt wäre: die Haare Simsons, das Leben Simsons. Mit anderen Worten: Die objekthaften Teile des Gedichts werden zu den subjekthaften, das heißt zum Ersatz des Substantivs.«
    Michael verlor den Faden. Er verstand nicht genau, wovon die Rede war. Er war verwirrt, sein Interesse an dem Gedicht ließ nach. Die anderen waren vollständig in eine Welt eingetaucht, von der er geglaubt hatte, er verstehe sie, und plötzlich sprachen sie eine andere Sprache.
    Tuwja Schaj dozierte voller Begeisterung, und die Studenten schrieben eifrig mit. Eine von ihnen hob den Kopf und verzog das Gesicht, zögerte einen Moment und meldete sich dann. »Nur eine Sekunde«, sagte Schaj, »ich bin gleich fertig.« Und fast im Schreibtempo sagte er: »Die Extraposition, das heißt, die Stellung des Objekts an den Anfang, erschüttert das Gleichgewicht des Satzes. Von Beginn an (das wurde besonders betont) sind die Haare Simsons das Objekt der Beziehung, der Artikel zeigt klar, daß die Haare die Funktion des Objekts

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