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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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tragische Erhabenheit.« Er musterte die Studenten, wie um sicher zu sein, daß sie ihn verstanden hatten. Michael wandte die Augen nicht von ihm, aber es gelang ihm nicht, seinen Blick zu treffen. Der Mann verhielt sich, als sei Michael überhaupt nicht anwesend.
    »Worauf ich Sie hinweisen möchte, ist, daß in der Bibel die Gestalt ›Simson, der Held‹ einerseits als eine Art Herkules und andrerseits auch ein bißchen als lächerliche Figur dargestellt wird.«
    Wieder betrachtete Michael die Studenten. Der Mann neben ihm hatte immer noch sein Kinn in die Hand gestützt, er starrte vor sich hin und machte sich auch keine Notizen. »Ich bitte Sie, nicht zu vergessen«, erklang Schajs Stimme nach kurzem Schweigen, »daß die Bibel Simsons Haare als Metonymie darstellt, als Teil, der das Ganze repräsentiert, seine besondere Beziehung zu Gott, eine Beziehung, die ihm übernatürliche Kräfte verleiht. Im Bewußtsein der Leser verwandelt sich das Haar in das Symbol der Kraft selbst. Simsons Beziehung zu Gott einerseits und seine Schwäche gegenüber Frauen andrerseits, eine Schwäche, die sich in Dummheit oder mindestens in Naivität ausdrückt, bringt diesen entsetzlichen Widerspruch hervor. Zweimal«, Tuwja Schaj hob zwei Finger, »zweimal wurde er von zwei Frauen betrogen, die er liebte. Das ist nicht nur Dummheit, das hat auch etwas Hochmütiges – Simson kommt gar nicht auf die Idee, daß ihm seine Kraft geraubt werden könnte. Die Bibel beschreibt eigentlich einen Mann, der im Lauf der Jahre einen Prozeß durchgemacht hat. Er identifizierte allmählich die göttliche Kraft in sich mit seiner eigenen Person und vergaß ganz deren göttlichen Ursprung.« Wieder schaute sich Schaj um, und Michael bemerkte, wie die Hände innehielten, wie die Studenten einen Moment aufhörten zu schreiben, er sah das Licht, das plötzlich in den hellen Augen des jungen Studenten aufleuchtete.
    »Für Simson«, sagte Tuwja Schaj leise, »bedeutete der Verlust der Haare den Verlust seiner Beziehung zu Gott, der Bruch seines Geweihtseins – das ist es, was ihm der Verlust der Haare gebracht hat, und deshalb, meine Herrschaften, deshalb auch den Verlust seiner übernatürlichen, übermenschlichen Kraft.«
    Tuwja Schaj schaute sich um, und in seinem Blick lag etwas, was man nur als Stolz bezeichnen konnte. Nicht der Stolz eines Siegers, sondern der Stolz eines Menschen, der ein schwieriges Problem gelöst hat und es nun strahlend mitteilt.
    »Ich sehe keinen Zusammenhang«, kam die protestierende Stimme einer jungen Frau, von der Michael nur den breiten Rücken sehen konnte. Der Rücken bewegte sich ein wenig, und das Leuchten auf Schajs Gesicht erlosch für einen Moment.
    »Geduld«, sagte er, ohne zu lächeln, »wir gehen nicht hier raus, bevor Sie den Zusammenhang erkannt haben. Wir entziffern hier etwas Vielschichtiges, wir suchen den dritten Text, wie wir uns erinnern. Das braucht Zeit.«
    »Können wir schon erfahren, von wem der Text ist?« fragte die junge Frau mit dem grünen Kopftuch, und Tuwjas Gesicht wurde wieder lebhaft, als er fröhlich antwortete: »Noch nicht, erst zum Schluß, um Vorurteile zu vermeiden, aber ich bin sicher, daß ein Teil von Ihnen die Lösung bereits weiß.«
    Dann wechselte er über zu Absalom. Der ältere Mann neben Michael holte Unterlagen aus einer Tasche, die er auf dem Boden stehen hatte, zwischen seinen Beinen, und blätterte fieberhaft darin herum. Dann las er mit bedächtiger Stimme eine Zusammenfassung von Absaloms Rebellion vor. Erinnerungen stiegen in Michael auf, das Echo von Worten, von denen er einst geglaubt hatte, sie verstanden zu haben, von denen er aber erst jetzt wußte, daß er sie nie verstanden hatte. Mit wachsender Erregung hörte er nun Einzelheiten über den »Ratschlag Ahithophels« und verstand auf einmal die Bedeutung der Worte: »Da machten sie Absalom ein Zelt auf dem Dach, und Absalom ging zu den Nebenfrauen seines Vaters vor den Augen von ganz Israel.« Heimlich warf er einen Blick auf das aufgeschlagene Heft links von ihm und sah die Zeilen: »Ahithophel der Kalte und Böses Sinnende«, und das Gedicht wurde lebendig, bekam eine Bedeutung, die er vorher nicht gesehen hatte. Etwas Schlimmes und Schreckliches, das er unbedingt verstehen mußte.
    Auch die Stimme Tuwja Schajs schien ihm voll böser Absicht, als er sagte: »Sie haben jetzt schon fast alle Tatsachen, Sie müssen nur noch das Bild klar erkennen.« Ernst betrachtete er seine Studenten. Sie warteten, die

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