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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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müde zuwinkte, und dabei war sie erst vierundzwanzig, wie er schnell nachrechnete –, dachte Mojsch an das, was Aharon gesagt hatte, und fragte sich, ob nicht etwas Wahres daran war. Der Schmerz der Einsamkeit und die Frage nach dem Sinn des Lebens überfiel die jungen Leute ganz plötzlich, kaum hatten sie das erstickende Gewächshaus hinter sich, das zu verlassen sie sich so gesehnt hatten. Sie spürten, nun würden sie andere Dinge kennenlernen, die sie entwurzeln würden, die ihnen die Möglichkeit nahmen, zurückzukehren und ihr Leben in eben dem Gewächshaus wieder aufzunehmen und ihre Kinder so aufzuziehen, wie sie selbst aufgezogen worden waren, in dem Bewußtsein, daß alles so war, wie es sein sollte. Mojsch stand nun neben seinem Fahrrad und ließ sich, ganz gegen seine Art, von seinen Gedanken treiben, ohne sich dagegen zu wehren, und plötzlich, zum ersten Mal, verstand er die jungen Leute. Osnats Tod – und vielleicht auch schon Srulkes – hatte die Schutzmauer durchbrochen, die ihn damals daran gehindert hatte zu verstehen, was Aharon sagte.
    Als er abends bei Dworka vorbeiging, um nachzu schauen, ob alles in Ordnung war, traf er sie auf dem Rasen vor dem Haus. Sie saß in einem Liegestuhl und blickte auf den Weg. Der Duft der Blumen erfüllte die Luft, und Mojsch, der am selben Abend schon zweimal hier vorbeige kommen war, fast rennend von einem Zimmer zum ande ren, mit der Ausrede, er habe technische Dinge zu kontrollieren wie zum Beispiel den Wasserdruck, hatte sie jedesmal da sitzen sehen, bewegungslos wie eine Steinfigur. Als er jetzt neben ihr niederkniete, legte sie ihm wortlos die Hand auf die Schulter, und er fragte sich, wie sie die Demaskierung einer solchen Gewalt, einer solchen Zerstörung überhaupt ertrug. Wie hält sie das bloß aus, fragte er sich, während er ihre alte Hand betrachtete, die braunen Flecken auf ihrer Haut, die im grellen Licht der Laterne deutlich zu sehen waren. Dann stand er auf und ging seiner Wege.
    Auch mit Simcha Malul hatte er gesprochen, mittags, als er schwitzend die Krankenstation betreten hatte, die wegen der Klimaanlage und der halb zugezogenen Vorhänge angenehm kühl und dämmrig war. Fanja hatte die Vorhänge genäht, als die Krankenstation eingeweiht worden war, der Stoff dazu stammte aus der Altstadt. Er erinnerte sich an den zufriedenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, als er ihr den Stoff überreicht hatte, blau und violett gestreift, aus Jerusalem, wohin sie sich zu fahren weigerte, so wie sie sich überhaupt weigerte, den Kibbuz zu verlassen, und wie sie als Ausdruck ihrer Zufriedenheit ein paar Sätze gemurmelt hatte, die mit den Worten endeten: »Ich denke, das ist in Ordnung.« Und am nächsten Morgen hängte Sacharja die Vorhänge auf, Fanja war die ganze Nacht aufgeblieben und hatte genäht.
    Mojsch hatte lange bei Simcha Malul gestanden, wäh rend sie das Geschirr spülte und von ihrem Sohn erzählte. Er hatte sich am Kopf gekratzt und gesagt: »Bring ihn her, mal sehen, ob man was machen kann. Vielleicht lassen sich die Formalitäten auch umgehen.« Verwirrt hatte er gesehen, daß ihr Tränen der Dankbarkeit in die Augen traten, bevor sie ihm den Rücken zukehrte und sich daran machte, einen Teller sauber zu kratzen. Er öffnete die Schränke im Vorraum, und als er die Krankenzimmer betrat, wo die alten Leute lagen, schaute er sogar unter ihre Betten.
    »Was suchst du?« fragte Simcha. »Hast du etwas verloren? Kann ich dir helfen?«
    Mojsch sagte ruhig, mit gespielter Nachlässigkeit: »Ich glaube, ich habe eine silberne Flasche hier stehenlassen, an dem Tag, als Osnat ... Vielleicht hast du sie gefunden?«
    Sie hatte keine Flasche gefunden. Und wenn sie sie gefunden hätte, hätte sie sie unter die Spüle gestellt, sagte sie, denn woher hätte sie wissen sollen, was drin war? Aber da war nichts gewesen, nirgendwo, sie machte alles sauber, sie kannte jede Ecke. Mojsch war verwirrt wegen ihrer offensichtlichen Angst, man könne sie der Nachlässigkeit beschuldigen. Eigentlich hatte er vorgehabt zu erwähnen, daß sie, wie er bei der Polizei erfahren hatte, zum Sekretariat gegangen war und die Kranken allein gelassen hatte – als er und Jojo das Sekretariat abgeschlossen hatten und zum Speisesaal gegangen waren –, er hatte sie fragen wollen, ob sie auf dem Rückweg jemanden aus der Krankenstation hatte herauskommen sehen, doch er unterließ es, als er die offene Angst in ihren Augen sah. Überlaß das der Polizei, sagte er sich selbst,

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