Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
»es geht mir prima. Warum?«
»Du siehst so blaß aus, schau doch nur, was du für eine Farbe hast«, sagte Schula. »Wenn Osnat noch leben würde, würde ich zu ihr gehen. Sie hätte gewußt, was man tun kann. Sie hatte einen Kopf für solche Probleme. Sie hätte, sagen wir mal, gewußt, wen man am geschicktesten zu welchem Einsatz einteilt. Daß man zum Beispiel zwei Mädchen aus der Palmengruppe zu den Pflaumen schickt, damit die Jungen von der Nachal-Einheit auch mitmachen wollen. Oder daß man Dana nicht beim Verpacken einsetzt, wenn man Achinoam dabei haben will. Solche Sachen eben.« Sie seufzte. »Ach, ich rede nur Blödsinn. Aber Osnats Tod ist wirklich eine Katastrophe für uns, nicht wahr, Mojsch, eine wirkliche Katastrophe.«
Mojsch wandte sich zur Seite. Schula war ein paar Jahre jünger als Osnat, und sie hatte ihr gegenüber immer offen ihre tiefe Bewunderung gezeigt. Plötzlich, als er Schula ansah, fiel Mojsch ein Freitagabend ein, der schon Jahre zurücklag. Schula, in der Tür des Speisesaals stehend, betrachtete Osnat und sagte mit einem kindlichen Staunen in den Augen: »Wie schön du bist, und wie gut dir Weiß steht. Wie schaffst du es bloß, dich so anzuziehen, bei all deiner Arbeit, und wie schaffst du es, bei unserem kleinen Budget solche Sachen aufzutreiben?« Mojsch erinnerte sich auch noch, wie ein Ausdruck des Zorns über Osnats Gesicht geflogen war, gefolgt von einem mißtrauischen Blick. Mojsch wußte, daß sich Osnat nun fragte, was sie mit diesen Komplimenten anfangen sollte, was Schula wirklich meinte. Und erst jetzt, in der Erinnerung, verstand er, welches Ausmaß an Aggression hinter dieser offenen Bewunderung gesteckt hatte. »Ich denke nicht darüber nach, es ist nicht wichtig«, hatte Osnat damals widerwillig zu Schula gesagt, die hartnäckig auf eine Reaktion gewartet hatte. »Das gefällt mir«, hatte sie dann mit einer Verehrung gesagt, die Osnat noch zorniger zu machen schien.
»Man kann im alltäglichen Leben nicht dauernd über so subtile Dinge nachdenken«, hatte Aharon einmal gesagt, als er eine beleidigende Bemerkung erklären wollte, die Jochewed oder Matilda gemacht hatte, die Umstände hatten sich in Mojschs Erinnerung schon verwischt, es war nur Aha rons Stimme, die ihm plötzlich in den Ohren klang: »Das darf einem nichts ausmachen«, sagte Aharon, damals noch Kibbuzmitglied. »Man muß sich abhärten, sich eine dicke Haut in den Ohren wachsen lassen. Man muß mit diesen Leuten Tag für Tag auskommen, man kann nicht die ganze Zeit hinhören, was sich hinter den Worten verbirgt.«
Osnats Tod, dachte Mojsch, während er hörte, wie Schulas Stimme aufstieg und sich senkte, ohne jedoch zu verstehen, was sie sagte, hatte die »dicke Haut« abgerissen, die ihm in den Ohren gewachsen war. Damals hatte Mojsch an Aharons ewige Klagen und Beschwerden gedacht und deshalb zu ihm gesagt: »Hör doch auf, dauernd nachzudenken, du grübelst die ganze Zeit.« Und jetzt konnte er selbst nicht aufhören zu grübeln. Alles, was er hörte, schien eine andere Bedeutung bekommen zu haben, jeder Satz war doppelsinnig, und hinter jedem Wort verbarg sich ein Gewürm.
»Um hier zu leben, braucht man einen besonderen Charakter«, hatte Aharon eines Abends gesagt. »Etwas haben die Leute hier gemeinsam, eine dicke Haut, die es ihnen möglich macht zu überleben, sonst würden sie es nicht aushalten.« Sie waren unterwegs, um Bewässerungsschläuche zu legen, zusammen mit einem jungen Mädchen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnerte, nur daß sie beide scharf auf sie gewesen waren und Aharon, wie üb lich, verzichtet hatte, doch dann war Juwik plötzlich von irgendwoher aufgetaucht und hatte sie ihnen weggeschnappt.
Mojsch betrachtete Schula. Ihrem Gesicht war anzu sehen, wie verantwortungsbewußt sie war, wie aufmerk sam und besorgt sie sich den Problemen stellte. Trotzdem wirkte sie mit ihren hervorstehenden Augen und den bei den Falten auf der Stirn auf ihn wie ein Block Bosheit. Vom anderen Ende des Weges näherte sich Guta, die Lip pen in dem faltigen Gesicht fest zusammengepreßt. Sie ging zum Speisesaal, das bedeutete, daß es schon nach zwei Uhr war, denn wegen ihrer Arbeit im Kuhstall kam Guta immer erst so spät zum Essen, daß die Stühle schon auf den Tischen standen und jemand den Boden putzte. Schula stand neben ihrem Fahrrad, hielt die Griffe fest und fummelte an dem Gummiüberzug der Klingel. »Das heißt also, daß ich in drei Wochen zwei Arbeitseinsätze am
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