Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
mit nackten Brüsten herumläuft. Dann, wieder auf Hebräisch: »Ich war sicher, daß er die Schläuche auch auf ihr verlegen will.« Erst da sah er Osnat, die hinter ihr zwischen den niedrigen Bäumen hervorkam und tat, als habe sie nichts gehört.
Es war, wie Mirjam, seine Mutter, einmal gesagt hatte, als er und Osnat noch Kinder waren: »Man kann Matilda nicht entkommen. Immer gibt es irgendwo eine Matilda, überall, nehmt sie einfach nicht ernst.« Das war damals, als sie sich darüber beklagt hatten, daß Matilda sie angefeindet hatte. Sie waren in die Küche gegangen, um Mehl und ein paar Eier zu holen, weil sie zu Lottes Geburtstag einen Kuchen backen wollten. »Beachtet sie gar nicht«, hatte Mirjam damals gesagt. »Sie ist eigentlich eine gute Frau, und sie tut das nicht, weil sie geizig ist, sondern weil sie auf alles aufpaßt, die Küche ist ihr Zuhause. Und vergeßt nicht, was für ein schweres Leben sie gehabt hat, so viele Jahre war sie allein.«
Mojsch fuhr den Weg entlang, und fast hätte er gelächelt, als er sich an Osnats Antwort erinnerte: »Wenn sie nicht so ein Ekel wäre, wäre sie auch nicht allein geblieben. Niemand wagt sich in ihre Nähe. Ich verstehe nicht, wie ihr jemals jemand nahe genug gekommen ist, um ihr ein Kind zu machen.«
Mirjam hatte sich ängstlich umgeblickt, ob auch nie mand Osnats laut gesprochene Worte gehört hatte, dann sagte sie: »Pssst, Osnatile, das ist nicht schön. Sie war nicht immer so. Als sie hierherkam, war sie noch anders, nach allem, was sie erlebt hatte. Und sie meint es gut.«
Auch heute konnte Mojsch sich noch an den beschämten, nachdenklichen Blick erinnern, mit dem Osnat auf Mirjams unerschöpfliche Toleranz reagiert hatte.
Langsam fuhr Mojsch vom Laden zur Ambulanz, wobei er das Stück losen Draht festhielt, das vom Griff herunterhing und mit der Bremse des alten Rads verbunden war. Er fühlte sich bedrückt, ein Gefühl, das immer stärker wurde. Er fuhr langsamer und ließ seine Gedanken schweifen. Er blickte sich um, ohne wirklich etwas zu suchen. An dieser Trauer, die sich über den Kibbuz senkte, ist etwas Schreckli ches, dachte er, während er sich dem Geräteschuppen zuwandte. Bei allen war die Trauer über Srulkes und Osnats Tod zu einer Einheit verschmolzen, zu einem Leid, das geradewegs zum nächsten führte. Und daß diese Trauer einerseits so verbindend, andererseits aber so anonym war, gab ihm plötzlich das Gefühl, als sei etwas Unnatürliches an ihr, etwas Falsches. Eine rituelle Feierlichkeit, die angesichts der Umstände fragwürdig und zweifelhaft erschien. Ein Schauer überlief ihn, als er an die bevorstehende Gedenkfeier für Srulke dachte, am dreißigsten Tag nach seinem Tod, von der man schon zu sprechen angefangen hatte. Der Schmerz und die ritualisierte Trauerarbeit kamen ihm plötzlich künstlich vor.
Seine Bedrückung wuchs noch, als er über die eifrige Hingabe nachdachte, die doch eigentlich von einem ernsten Bedürfnis herrührte, die Trauer über den Verlust eines An gehörigen auszudrücken. Aber eigentlich hatte niemand von ihnen Osnat wirklich gekannt oder verstanden, und vor allem – niemand wußte die Wahrheit. Über dem ganzen Kibbuz lag ruhig und traurig eine Atmosphäre feierlicher Wehmut. Eine Bar-Mizwa*, die in derselben Woche stattfinden sollte, war um einen Monat verschoben worden.
Dworka fand Trost in Gesellschaft der Kleinen, ihnen gegenüber verzog sie die Lippen, sonst fest zusammengepreßt, auch zu einem gezwungenen Lächeln, das sich nicht nur auf ihre Augen beschränkte. Manchmal besuchte sie jemand in ihrem Zimmer, aus der traditionellen Überlegung heraus, man dürfe sie nicht allein lassen, doch meist waren die Kinder anwesend, und das verhinderte, daß man ausführlich über die Katastrophe sprechen konnte.
Der ganze Kibbuz widmete sich dem Ziel, daß die Kinder nur ja in keiner Weise litten. An dem Tag, als sie von ihrer Vorladung bei der Spezialeinheit zurückgekommen waren, wartete ein klimatisierter Kleinbus, um die Kindergartenkinder, zu denen auch die beiden jüngsten von Osnat gehörten, zu einem Lagerfeuer zu bringen. Mojsch stand daneben und beobachtete, wie der Ford Transit mit allem Notwendigen beladen wurde, darunter dem Abendessen für die Kinder, er sah die Chawerim, die um den Bus herumhüpften und die Ausrüstung kontrollierten, aufzählten, was alles da war und was fehlte. Vierzehn Kinder, dachte Mojsch, und dazu der ganze Aufwand, sogar die Sicherheitsvorkehrungen waren
Weitere Kostenlose Bücher