Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
sie, in Erwartung des Technikers, der halbjährlich den Service durchführte, die Nähmaschinen in der Schneiderei kontrollieren wollten. Nach ein paar Stunden Übung gelang es ihnen sogar, Fanja zu überzeugen. Auch Matilda war nicht erstaunt, als sie ihr etwas von einem Defekt im Hauptgenerator erzählten. Es herrschte eine schweigende Übereinkunft, daß Dworka und Osnats Kin der an der Suche nicht beteiligt wurden. Dworka schloß sich in ihrem Zimmer ein, und Mojsch verstand gut, daß sie sich ganz den Kindern widmen wollte und jeder Berührung mit den anderen Kibbuzmitgliedern auswich.
Er hatte das Gefühl, als habe Dworka ihr Gemeinschaftsgefühl verloren. Ihr Verlust war größer als der der anderen, und sie wußte etwas, was die anderen nicht wußten. Das machte sie zu einer Außenseiterin. Mojsch erschrak, als ihm klar wurde, daß auch er allein stand. Dieses Bewußt sein verlieh ihm eine gewisse ironische Distanz, wenn er hörte, wie die anderen Chawerim darüber sprachen, daß Osnat sich selbst vernachlässigt habe.
»Sie hat sich viel zuviel aufgeladen«, sagte Matilda gerade. Sie stand neben ihm in dem kleinen Kibbuzladen, während er so tat, als kontrolliere er das elektrische Kabel der Kühlanlage. (»Wo ist Hilik? Das ist doch seine Ar beit«, hatte sie gesagt und weitergesprochen, ohne seine Antwort abzuwarten.) Er wartete darauf, daß sie ging und ihn allein ließ, doch als sie keine Anstalten dazu machte, schaute er sich offen um, während sie weitersprach.
»Ich sage ja immer, hier gibt es Parasiten, Leute, die nichts tun, und dann gibt es welche, die alle Arbeit für die Parasiten auf sich nehmen. Glaubst du etwa, das wäre einfach für mich, die Arbeit hier im Laden und die ganze Küche und die Vorratskammer und dazu noch die anderen Sachen, die ich übernommen habe. Dabei sage ich nicht, daß ich es ungern tue. Ich muß mich nicht hinlegen, ich werde noch lange genug im Grab liegen, aber ich will nicht so enden wie Osnat. Wer stirbt heutzutage noch an einer Lungenentzündung? Heute gibt es doch alle möglichen Medikamente. Aber wenn sich die Leute selbst vernachlässigen, weil ihnen die Zeit zum Atmen fehlt, weil sie nicht nur Sekretär und im Erziehungsausschuß sind, sondern auch alle möglichen neumodischen Ideen haben, ist es dann ein Wunder?« Sie hielt inne, als sie sah, wie er mit der Hand hinten in ein Regal griff. »Was suchst du eigent lich?«
Er zog eine Flasche heraus und las das Etikett.
»Was suchst du?« wiederholte sie mißtrauisch. »Brauchst du etwas?«
»Nein«, sagte Mojsch. »Was ist das? Reinigungsmittel?« Er stellte die Flasche zurück und warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich habe nicht gemerkt, wie spät es ist«, murmelte er und verließ schnell den Laden, auf der Flucht vor Matildas nörgelnder Stimme, die ihn müde und nervös machte, so wie jeden, der sich ein paar Minuten in ihrer Gegenwart aufhielt.
Der Anblick von Matildas Knollennase, den kleinen, in dem aufgequollenen Gesicht fast versunkenen Augen, verfolgte ihn noch, als er schon draußen war. Wie immer trug sie weite blaue Arbeitshosen, darüber eine Gummischürze. Sie hatte den Fußboden des Ladens geputzt, der für die Chawerim erst nachmittags geöffnet war. Sie trug immer blaue Arbeitshosen, nur zum Abendessen erschien sie in einem geblümten Kleid. Im Speisesaal drehte sie den Kopf hin und her wie ein Huhn, um zu hören, ob es etwas Neues gab, und um ja zu sehen, wer neben wem saß. Es sah aus, als entgehe ihr nichts, aber in Wirklichkeit, stellte Mojsch plötzlich fest, war sie so besessen von Details, daß sie vor lauter Bäumen den Wald nicht sah. Sie schaffte es nicht, die Einzelteile zu einem Bild zusammenzusetzen, und manchmal führte ihr verzerrter Blick zu dem, was Osnat »Brunnenvergiftung« nannte. (»Sie redet über Dinge, von denen sie nichts versteht, und streut Mißtrauen zwischen die Leute«, hatte Osnat, wie Mojsch sich jetzt erinnerte, einmal wütend gesagt.)
Als er auf sein Fahrrad stieg, fiel ihm ein lange zurückliegender Vorfall ein, beim Pfirsichpflücken. Matilda mit einem weißen Kopftuch und den blauen, weiten Arbeitshosen, untersetzt, mit schweißnassem Gesicht, die mit ihren kurzen, dicken Armen an den Zweigen zerrte und sagte: »Wieso liegen die Bewässerungsschläuche hier auf einem Haufen? Gestern habe ich Juwik mit der jungen schwedischen Volontärin mit dem Jeep wegfahren sehen.« Und auf Jiddisch fügte sie hinzu: »Di woß geit mit di zizkeß aroiß.« Die, die
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