Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
dachte an Riki, die Krankenschwester, deren Gepäck fix und fertig in einer Ecke ihres Zimmers gestanden hatte, als sie zu ihm sagte: »Ich habe die ganze Ambulanz auf den Kopf gestellt und nichts gefunden. Meiner Meinung nach wirst du nichts finden, das Zeug ist bestimmt längst weggeworfen.«
Mojsch traf Jojo hinter dem Speisesaal, wo er an diesem Morgen die Mülltonnen durchsucht hatte. Die Tonnen vor dem Speisesaal hatte man schon in der Grube nicht weit von der Hauptstraße ausgeleert, in der sich der Müll häufte, bevor er einmal in der Woche verbrannt wurde. »Das ist keine gute Methode«, flüsterte Jojo, als sie neben einer der großen Tonnen standen. »Man müßte einen Aufruf ma chen, zum freiwilligen Arbeitseinsatz. Erfinde irgendeine Geschichte, damit der ganze Kibbuz loszieht und sucht, sonst finden wir nichts.«
»Das ist noch nicht möglich, du hast ja gehört, was man uns bei der Polizei erklärt hat«, sagte Mojsch verzweifelt. »Und wenn man das glaubt, dann weiß jemand in dem Moment, wo wir einen Aufruf machen, daß wir Bescheid wissen, und dann wird er die Flasche verstecken oder es noch einmal machen – falls man glaubt, was die uns sagen.«
»Haben wir eine Wahl?« fragte Jojo. Er wiederholte die Frage, während er sich umdrehte und Schula entdeckte, die Verantwortliche für die Arbeitsorganisation, die ihre Darminfektion überwunden hatte, aber immer noch blaß war. »Ich habe ein Problem mit den freiwilligen Arbeitseinsätzen«, sagte sie zu Mojsch.
»Was für ein Problem?« fragte Jojo, und Mojsch, dem das Herz stehenblieb bei dem Gedanken, sie könnte vielleicht Teile des Gesprächs gehört haben, setzte ein interessiertes Gesicht auf und wollte antworten.
»Kommt, gehen wir doch von den Mülltonnen weg«, sagte Schula. »Hier stinkt's. Wieso steht ihr ausgerechnet hier herum?« Schula war wegen ihrer notorisch guten Laune mit der Aufgabe der Arbeitsorganisation betreut worden, wegen der Ruhe, die sie normalerweise ausstrahlte, ihrer Flexibilität und ihrem schier unerschöpflichen Verantwortungsgefühl. Alle wußten, daß man sich auf Schula verlassen konnte. Aber zunächst hatte sie sich ihrer Wahl widersetzt. »Ich mache es nur für ein halbes Jahr«, hatte sie der Versammlung verkündet, als sie gewählt wurde, »ein halbes Jahr, dann gehe ich zurück ins Kinderhaus.« Nie war jemand scharf auf diese Arbeit gewesen, und insgeheim waren alle überzeugt, ohne das je auszusprechen, daß es ohnehin keiner länger als ein Jahr in diesem Job aushielt. »Es ist eine undankbare Aufgabe«, hatte Se'ew Hacohen vor Jahren bei einer Vollversammlung gesagt, als Mojsch für diesen Job gewählt worden war. »Aber keiner, der sich dafür eignet, darf ihn ablehnen. Nur wenige Leute verfügen über die Fähigkeiten, die für diese komplizierte und sensible Aufgabe nötig sind. Jemand muß sie einfach übernehmen.«
Seit ihrer Wahl sah man Schula ständig wie eine Verrückte durch den Kibbuz rennen, und ihre frühere gelassene Zufriedenheit war gespannter Erschöpfung gewichen. Mojsch erinnerte sich noch gut an die Zeit, in der er selbst für die Verteilung der Arbeit zuständig gewesen war, daran, wie sich der Gesichtsausdruck der Leute veränderte, wenn er im Speisesaal zu ihnen trat, wie sie nervös darauf warteten, was er ihnen zu sagen hatte. Manche waren von vornherein aggressiv, stellten ihre Stacheln auf und sagten zum Beispiel: »Du brauchst überhaupt nicht mit mir zu reden, ich habe drei Samstage hintereinander gearbeitet.« Andere wichen ihm aus und taten, als sähen sie ihn gar nicht. Manchmal, wenn er den Speisesaal betrat, meinte er förmlich all den Widerstand zu spüren, der ihm entgegenschlug, die Chawerim wichen ihm aus und blickten schnell zur Seite, damit sie ihm ja nicht auffielen und er sie um etwas bitten konnte. Er erinnerte sich auch an die Müdig keit und den Überdruß, die ihm die ständigen Klagen bereiteten. Regelmäßig klopfte am späteren Abend jemand bei ihm an und trat ein, beklagte sich über die Einteilung des folgenden Tages, der kommenden Woche.
»Was gibt es für ein Problem?« fragte Jojo Schula.
»Heute hat mir Schmiel gesagt, er braucht zusätzlich Hilfe bei den Pflaumen, am Schabbat in drei Wochen, und am selben Tag brauche ich zusätzliche Freiwillige im Betrieb, weil sie einen großen Auftrag aus Deutschland haben und es Probleme bei der Verpackung gibt.« Sie hielt inne und fragte plötzlich: »Mojsch, geht es dir nicht gut?«
»Doch«, sagte er,
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