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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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jedenfalls, dort gab es große Räume. Man hat uns gesagt, wir sollen uns schlafen legen.« Ihre Stimme wurde dramatisch. »Das waren die Schiffe Oscher und Jagur ! Aber der Engländer hat den Brief wirklich weggeschickt. Srulke hat ihn mir gezeigt.« Sie schüttelte verwundert den Kopf.
    »Was?« fragte Michael, gefesselt von der Geschichte. »Schiffe?«
    »Ja. Schiffe, mit denen Gefangene transportiert wurden, es gab zwei von der Art. Als wir aufwachten, waren wir auf einmal mitten auf dem Meer. Und dann folgten anderthalb Jahre in Zypern.«
    »Das ist furchtbar«, sagte Michael.
    »Es war wirklich sehr hart«, sagte Guta. Über den Krieg, der allem vorausgegangen war, hatte sie kein Wort ver loren. »Und es gab wirklich Leute, die verrückt geworden sind. Man konnte die Leute je nach ihrer Reaktion auf dem Meer genau einteilen. Die Menschen sind zu vielem fähig, das weiß man ja. Aber damals, mitten auf dem Meer, auf dem Weg nach Zypern, als die Leute aufwachten und entdeckten, was passiert war, daß wir nach dem ganzen langen Weg nicht in Palästina waren, war den Leuten alles egal. Sie haben sich nicht mehr verstellt.«
    In der Stille, die sich über das Zimmer senkte, war das Zirpen von Grillen und ein fernes Krähen zu hören. Guta atmete schwer, dann unterbrach sie die Stille mit einer verwunderten Feststellung: »Die ganzen Jahre habe ich das nicht erzählt. Immer habe ich gesagt, es sei eine lange Geschichte. In den ersten Jahren hier hat man uns auch nichts gefragt, sie wollten nicht, daß wir uns daran erinnern, aber Srulke hat es gewußt. Er hat uns abgeholt, als wir aus Zypern gekommen sind, und er kannte die ganze Geschichte. Vielleicht ist sein Tod daran schuld, daß ich jetzt rede.« Sie schaute Michael freundlich an, offen und verletzlich.
    »Es muß eine schwere Fahrt nach Zypern gewesen sein, ich meine, so wie sich die Leute benommen haben und das alles«, sagte Michael nachdenklich, seine eigene Erregung verbergend, alarmiert bei dem Gedanken, daß er nun gleich die Sympathie und das Vertrauen verlieren würde, die er so mühelos errungen hatte. Er schaute sie an und dachte, daß diese Frau nie fähig sein würde, die Tatsachen auch nur einen Moment zu verbergen, daß sie für das Argument, die Geheimhaltung diene der Sache, kein Ohr haben würde. Sie ist eine Frau, dachte Michael, die sich nicht davor fürchtet, eine Eiterbeule aufzustechen, wenn es nur offen passiert.
    »Ich möchte Ihnen etwas sagen«, sagte Michael. »Ich bin kein Sozialarbeiter, ich bin Polizist. Ich bin Polizeikommandant und leite eine Abteilung bei der Spezialeinheit für Schwerverbrechen.«
    Guta erstarrte, ihr Gesicht wurde zu Stein, auf dem der Ausdruck des Erstaunens gefror. Sie sah aus wie ein Mensch, der gerade gemerkt hat, daß er einem anderen in die Falle gegangen ist. Michael fügte schnell hinzu: »Und ich bin nicht wegen Jankele da, sondern wegen Osnats Tod.«
    Noch immer saß Guta unbeweglich da. Nur ihre Hände fingen plötzlich an zu zittern.
    »Osnat ist nicht an einer Lungenentzündung gestorben, sondern an einer Parathionvergiftung. Und wie es aussieht, war es kein Unfall, sondern beabsichtigt. Kurz gesagt – hier im Kibbuz hat es einen Mord gegeben.«
    Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie angefangen hätte zu schreien. Ihre zitternden Hände waren furchtbar, er konnte es nur schwer ertragen, sie so zu sehen.
    »Bis jetzt haben wir die Angelegenheit geheimgehalten, außer ein paar Leuten weiß keiner im Kibbuz davon. Ich sage es Ihnen jetzt, weil ich Ihre Hilfe brauche, Ihre Hilfe und Ihren Rat. Sie sind stark. Und Sie haben mich auf eine Idee gebracht.«
    Von irgendwoher kam Gutas Stimme, schwach, brüchig, heiser. Sie verschränkte die Arme, bohrte sich die schweren Finger mit den breiten Nägeln in die Haut, dann fragte sie: »Weiß es Dworka?«
    Er nickte.
    »Und sie hat geschwiegen?« fragte Guta erstaunt. »Sie hat nichts darüber gesagt?«
    Michael schwieg.
    »Wer weiß es noch?« wollte Guta wissen. Ihre Stimme wurde klarer.
    Er nannte die Namen. Dann fragte er: »Es überrascht Sie nicht? Das, was ich Ihnen gesagt habe, hat Sie nicht erstaunt?«
    »Es ist schwer, mich zu überraschen«, sagte sie, aber ihre Hand, mit der sie sich eine neue Zigarette anzündete, zitterte.
    »Jankele hat sich in jener Nacht in der Umgebung ihres Zimmers herumgetrieben.«
    »Reden Sie keinen Blödsinn«, fuhr Guta auf. »Er hatte nichts mit ihr zu tun.«
    »Sie wissen nichts über seine Beziehung zu Osnat?«

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