Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
fragte Michael.
»Da gibt es nichts zu wissen. Er hatte nie eine Beziehung zu Mädchen. Das macht Fanja großen Kummer.«
Michael blieb stur. »Nichts? Sie wissen nichts darüber?«
»Was denn, daß er eine Schwäche für Osnat hatte?« sagte Guta verächtlich. »Nun, ich hatte den Eindruck. Aber damals war er ein Kind, das ist lange her, und er hat ihr nichts getan. Ich würde meine rechte Hand dafür ins Feuer legen, daß er ihr nichts getan hat.«
»Aber es gibt die Möglichkeit, daß er etwas weiß, was wir nicht wissen.«
»Das kann ich mir kaum vorstellen. Jankele arbeitet gut, aber er lebt nicht gerade in der Realität, er nimmt kaum etwas wahr.«
»Und Fanja?«
Guta erschrak. »Was ist mit Fanja?« Ihre Hände, die inzwischen ruhig geworden waren, fingen wieder an zu zittern.
»Hat Fanja gewußt, daß er ... eine Schwäche für Osnat hatte?«
»Wir haben nicht darüber gesprochen, aber was ist, wenn es so wäre?« fragte Guta aggressiv.
»Sie ist Ihre jüngere Schwester, nicht wahr?« fragte Michael plötzlich. »Und Sie fühlen sich für sie verantwortlich.«
»Sie ist meine kleine Schwester«, sagte Guta, und ihre Hände zitterten immer noch.
»Ich frage mich«, sagte Michael, »wie sie wohl reagiert hätte, wenn sie von Jankeles Schwäche für Osnat erfahren hätte.«
»Was gibt es da zu reagieren?« fragte Guta unverhohlen zornig. »Sie reden Blödsinn. Fanja hätte Osnat nie etwas angetan.«
»Aber sie hat Osnat nicht gemocht.«
»Lassen Sie Fanja in Ruhe«, sagte Guta. »Kommen Sie ihr ja nicht zu nahe. Sprechen Sie mit mir. Ich sage Ihnen, daß Fanja nie im Leben irgend jemandem etwas zuleide getan hat, und ich bezweifle, daß sie überhaupt weiß, was Parathion ist. Darüber braucht man nicht zu diskutieren.« Ihre Stimme klang wütend, drohend, ihre Hände zitterten nicht mehr.
»Wir werden mit Fanja sprechen müssen«, sagte Mi chael. »Es wird hier eine Untersuchung stattfinden, es ist ein Mord geschehen. Aber wir werden auf Diskretion achten. Es ist zu ihrem Besten.« Er dachte an Maja und ihren Ärger über das, was sie »zweckbestimmte Manipulation von Menschen« nannte.
»Ihr werdet nicht mit Fanja sprechen!« zischte Guta. »Und lassen Sie dieses Gerede, es wäre zu ihrem Besten. Sie hat nie jemandem etwas Böses angetan, und ich habe keine Angst vor Ihrer Untersuchung.« Sie schnaufte heftig, mit zorniger Miene. »Ich werde mit den Chawerim darüber reden, hier wird es so etwas nicht geben. Ich werde auf der Stelle zu Dworka gehen und mit ihr sprechen, auch mit Mojsch und den anderen, die sich für so klug halten. Was glauben Sie denn, daß Sie einfach hier hereinkommen und mit Fanja sprechen können? Nur weil Sie von der Polizei sind, glauben Sie, Sie können hier tun, was Sie wollen?« Dann, nach einem tiefen Atemzug, trat sie auf ihn zu. Sie berührte ihn nicht, aber ihre Stimme klang drohend, als sie die Hand hob, wie um ihn zu schlagen, und sagte: »Ein Geheimnis wird es jetzt nicht mehr bleiben.«
Sie ging zur Tür, und Michael hatte plötzlich das Gefühl, einen Golem in Bewegung gesetzt zu haben. Als sie das Zimmer verließ, ergriff ihn Panik bei dem Gedanken, daß er es war, der den Stein ins Rollen gebracht hatte. Daß er einen ganzen Kibbuz in Angst und Schrecken erleben würde, wegen eines Ereignisses, für das es keinen Präzedenzfall gab. Er versuchte, die Panik abzuschütteln, sie mit Sprüchen wie »Zum Glück gibt es manchmal auch Leute, die berechenbar sind« wegzuschieben, aber auf dem ganzen Weg zu Daves Zimmer ließ ihn die Angst davor nicht los, was bald in dieser großen Familie geschehen würde, nun, da alle erfahren würden, was wirklich passiert war.
Dreizehntes Kapitel
Auch als er später mit Schorer und Awigail in Jerusalem in einem Café an der Hauptstraße des Machane-Jehuda Markts saß, konnte er noch Daves tiefes Gelächter hören. Ein Gemurmel war durch das Café gegangen, als sie es betreten hatten, denn ohne daß sie Uniform trugen, wußten dort alle, wer sie waren, taten aber, als wüßten sie es nicht, trotz des Polizeiautos, das vor der breiten Eingangstür geparkt war. Schorer saß auf einem kleinen Holzhocker, und Awigail, ungeachtet der Hitze in einem weißen, langärmligen Hemd und Jeans, was sie mit der Ponyfrisur wie eine Gymnasiastin aussehen ließ, saß auf einem orangefarbenen Plastikstuhl und blickte sich so interessiert um, als wolle sie alle Eindrücke in sich aufnehmen und speichern.
Nach ein Uhr nachts war es auch
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