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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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um, der noch immer schweigend in der Ecke saß, die Zeitung auf den Knien. »Wann geht ihr zum Speisesaal?« fragte er.
    Schimek lächelte und sagte: »Später. Gerade sind erst die Enkelkinder weggegangen.«
    Jojo ging, und Michael schaute sich im Zimmer mit der offenen Kochnische um. Er sah den kleinen Kühlschrank, den Backofen und das Kuchenblech, das auf der Marmorplatte stand. Zwei Rollen Hefekuchen lagen darauf und dufteten wunderbar nach frischgebackenem Teig. Der Duft war trotz des Geruchs nach Putzmittel noch wahrzuneh men. Von dem großen Zimmer führte eine Tür in den kleinen Flur, von dem aus zwei weitere Türen abgingen. Schlafzimmer und Bad, dachte Michael. Er setzte sich in einen Sessel, dessen heller Baumwollbezug sich unangenehm anfühlte. Ihm gegenüber stand das Sofa, ebenfalls hell, das mit einem weißen, gestärkten Bettuch abgedeckt war. Solche Tücher hatte Michael bisher nur in dem großen Gästezimmer von Fela und Josek gesehen, Niras Eltern. Dort hatte Fela die Möbel mit Laken zugehängt und sie nur bei besonderen Anlässen widerwillig abgenommen. Guta nahm das Laken mit einer ungeduldigen Bewegung vom Sofa und legte es zusammen.
    Zwischen dem Sofa und dem Sessel, in dem er saß, stand ein dunkler, viereckiger Holztisch, darauf eine Schale mit Obst und eine zweite, kleinere, mit Bonbons, bei deren Anblick Michael einen säuerlichen Geschmack im Mund zu spüren meinte. Die Obstschale stand auf einem Häkeldeckchen. Als Michael sich umschaute, stellte er fest, daß viele Gegenstände in diesem Raum auf solch einem Deckchen standen. Sogar der große Fernsehapparat, der aus dem Re gal herausblitzte, und der große gläserne Fisch und die leere Blumenvase daneben standen auf Häkeldeckchen. Im zweiten Sessel saß Schimek und lächelte. Sein Kopf ruhte auf einem runden Deckchen, das auf der Lehne lag. In dem Regal, dessen Holzbretter von einem Metallgestell getragen wurden, entdeckte Michael zwei Bände der › Scrolls of Fire ‹ , die zu Ehren der im Unabhängigkeitskrieg Gefallenen herausgegeben worden waren. Daneben gab es nur wenige Bücher. Um den Tisch mit der gelben Resopalplatte, der die Kochnische vom Zimmer trennte, standen sechs dünnbeinige Stühle, deren Sitze mit grünem Plastik bezogen waren. Alles blitzte vor Sauberkeit.
    Plötzlich unterbrach Schimek die Stille. »Ich gehe raus, die Bäume schneiden, bevor es dunkel wird«, sagte er entschuldigend und erhob sich schwerfällig. Es war etwas Kindliches an seinem Gesicht mit der glatten Haut und den Augen, die Guta ängstlich anschauten. Guta machte sich nicht die Mühe zu antworten. Sie saß auf dem Hocker, den Blick auf Michael gerichtet, als erwarte sie einen Urteilsspruch.
    Als sie allein waren, sagte sie plötzlich mit beherrschter Stimme: »Jetzt.« Sie machte einen tiefen Atemzug, und ihm lief ein Schauer über den Rücken. »Jetzt erzählen Sie mir mal genau, was passiert ist.« Michael fiel sofort auf, wie flüssig sie sprach, ganz anders als ihre Schwester, und überhaupt bestand zwischen ihnen keine Ähnlichkeit, außer daß Guta auf dem linken Arm ebenfalls eine blaue Nummer hatte, die Michaels Blick immer wieder anzog, wider seinen Willen, so wie der Blick eines Kindes immer wieder von Verbotenem angezogen wird.
    »Es ist nichts passiert. Er hat seine Tabletten nicht eingenommen, und Dr. Reimer machte sich Sorgen um seinen Zustand. Er hat sich an uns gewandt, und wir haben ihn abgeholt, um ihn zu untersuchen. Es ist zu seinem Besten. Als Fanja, Ihre Schwester, erfahren hat, daß er nicht im Kibbuz ist, hat sie mit einem hysterischen Ausbruch reagiert. Ich möchte Sie fragen, wie sie wohl darauf reagieren würde, wenn er in ein Heim käme oder so.«
    »Das kommt nicht in Frage«, sagte Guta mit schmalem Mund. »Darüber gibt es nichts zu sagen. Er ist ein Sohn des Kibbuz, ein selbständiges Mitglied, und keiner außer seinen Eltern wird so etwas entscheiden.«
    »Er ist kein Kind mehr«, sagte Michael, »er könnte gefährlich werden, sowohl für andere auch als für sich selbst.«
    »Er ist ein guter Junge«, sagte Guta, »problematisch, aber mit einem Herz aus Gold, der keiner Fliege etwas zuleide tun würde.« Wieder verzog sie die Lippen, dann fuhr sie fort: »Und keiner wird ihn irgendwohin bringen. Wir passen selbst auf ihn auf, zusammen mit dem Arzt und der Krankenschwester.« Sie zog eine zerknüllte Zigarettenschachtel aus ihrer Tasche, steckte sich eine an, atmete tief den Rauch ein und sagte: »Einen Moment

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