Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
brachliegenden Feldern. »Solche Orte sind viel zu gefährlich, es ist nicht mehr wie früher, als junge Leute miteinander durch die Felder spazierten«, hatte er gesagt, und Awigail hatte zugestimmt. »Man müßte direkt mal die Auswirkungen der Intifada auf das Liebesleben der jungen Leute untersuchen«, sagte er jetzt, um die verlegene Stille zu unterbrechen, die sich, als er in ihrem Zimmer stand, zwischen ihnen ausbreitete.
Er hatte auch diesen Tag mit langen Befragungen der verschiedenen Kibbuzmitglieder verbracht und versucht, diese Gespräche so angenehm wie möglich verlaufen zu lassen. Bei der Spezialeinheit hatten sie beschlossen, die Chawerim nicht nach Petach Tikwa zu bringen. »Dreihun dert Leute, das ist zuviel«, hatte Nahari entschieden. Aber er weigerte sich, den Detektor in den Kibbuz transportieren zu lassen, so daß einige der Befragten zur Spezialeinheit bestellt wurden.
»Es war gefährlich, mit Beni auf dem Weg zum Speisesaal zu sprechen«, sagte Michael nun zu Awigail, während sie das kleine, graue Dokument betrachtete, das er in der Hand hielt.
Dann beschrieb er, wie er es dem Kassenwart gezeigt hatte. Der war ganz blaß geworden und hatte gesagt: »Das hatte ich ganz vergessen. Es ist vielleicht dreißig Jahre her.«
»Vierundzwanzig«, korrigierte Michael. »Und Sie haben es mit keinem Wort erwähnt. Unter den gegebenen Umständen ist es seltsam, so etwas zu vergessen.«
»Ich schwöre, daß ich es vergessen habe«, sagte Jojo. »Das ist noch aus der Zeit, als ich die Baumwolle gespritzt habe. Und sogar das hatte ich vergessen.« Sein Gesicht nahm einen flehenden Ausdruck an. »Warum sollte ich das überhaupt verbergen?«
Später, beim Verhör mit dem Detektor, stellte sich her aus, daß er nicht log. Sein Zertifikat, daß er mit Parathion sprühen durfte, war belanglos. Guta und Fanja hatten nach dem Zwischenfall in der Ambulanz eine Befragung mit dem Detektor verweigert. »Sie müssen erst beweisen, daß es einen Grund dafür gibt, daß wir das machen sollen«, hatte Guta mit drohend erhobenem Arm gesagt, und Fanja hatte zustimmend gemurmelt.
»Sie sind nicht bereit dazu?« hatte Nahari später gesagt, als Michael ihm berichtete. »Was soll das heißen, sie sind nicht bereit! Nehmen Sie sie fest, dann werden sie schon bereit sein, das verspreche ich Ihnen.«
»Damit werden wir noch warten«, hatte Michael be harrt. »Es wird ohnehin nichts dabei rauskommen.«
»Woher haben Sie diese prophetische Gabe?« hatte Nahari gesagt und wieder in den Papieren geblättert, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
Auch Towa hatte, wie sich herausstellte, nicht gelogen, als sie behauptete, es wäre ihr nie im Traum eingefallen, Os nat etwas anzutun, es habe ihr völlig gereicht, sie im Speisesaal zu beschämen. »Wenn ich alle ermorden müßte, hinter denen Boas her ist, würden hier nicht mehr viele Frauen am Leben sein«, hatte sie zu Machluf Levi gesagt, und er hatte diesen Satz mit unverhohlenem Vergnügen zitiert.
Zwischen einer Befragung und der nächsten, zwischen allen Untersuchungen, zwischen den Dutzenden von Aussagen, die Michael sich in den letzten Tagen angehört hatte, nahm er auch manchmal die Ruhe der Umgebung auf, in der er sich bewegte. Diese Ruhe, die von den gepflegten Wegen ausging, von den Rasenflächen, von den Kinderspielplätzen und von dem weiten Platz vor dem Speisesaal, von dem Friedhof mit dem besonderen Areal für gefallene Soldaten, kam ihm manchmal absurd vor. Sie verlieh dem ganzen Fall etwas Irreales. Und zuweilen, wenn er sich umschaute und kein Mensch zu sehen war, nachts oder in der Zeit nach dem Mittagessen, während der größten Hitze, fragte er sich, ob hier wirklich ein Mord stattgefunden hatte.
Erst nun, am dritten Tag, besuchte er Awigail in ihrem Zimmer. Sie öffnete die Tür und schloß sie leise, nachdem er eingetreten war. Er betrachtete sie, als sie sorgfältig den türkischen Kaffee in dem Finjan rührte, zeremoniell, als habe sie sich das von den Kibbuzmitgliedern abgeschaut. Er sah ihre schmale Gestalt, die Haare, die bei jeder Bewegung mitschwangen, die zierlichen Hände. Sie trug einen schwarzen Kimono, dessen kleine Knöpfe bis zum Hals geschlossen waren. Die weiten Ärmel hatte sie an den Handgelenken zusammengebunden. Die Klimaanlage summte leise, und das Zirpen der Grillen war hier im Zimmer nicht zu hören. Mit einem tiefen Seufzer setzte er sich hin.
»Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, ich komme weiter«, sagte er plötzlich. Sie
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