Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
mich an einen anderen Kibbuz, nicht weit von hier, da hat es solche Vorwürfe gegen die Verantwortliche der Schneiderei gegeben. Sie soll Kleidungsstücke ohne Rechnung genommen und in die Stadt geschickt haben, zu ihrer Familie. Und ich weiß, daß man auch woanders die Polizei nicht eingeschaltet hat, in einem Kibbuz im Norden, wo es zu einer ernsten Unterschlagung gekommen ist und jemand Geld auf ein Konto in der Stadt überwiesen hat. Auch dort hat der Kibbuz die Geschichte allein geregelt, ohne Polizei.«
»Wie?« fragte Michael.
»Na ja, es gibt alle möglichen Wege«, sagte Mojsch mit sichtlichem Unbehagen. »In dem Fall, den ich gerade genannt habe, hat man den Chawer gezwungen, den Kibbuz zu verlassen. Er hat alles zurückgezahlt, bis auf die letzte Pruta. Es war eine Tragödie, denn er ging weg, aber seine Frau ist mit den Kindern dort geblieben, und man hat ihnen das Leben schwergemacht. Das ist jetzt zwei Jahre her, aber sie sind immer noch dort.«
»Und hier bei euch?«
»Das habe ich doch schon gesagt. Bei uns hat es ein paar kleinere Sachen gegeben, aber die haben wir alleine geregelt. Wenn man das regeln nennen kann.« Mojschs Stimme wurde bitter. »Doch etwas anderes ist bei uns nie passiert, und die Sache mit dem ›Verkauf von Gemeinschaftseigen tum ‹ verstehe ich nicht ganz. Ich glaube nicht, daß es sich da um etwas Konkretes handelt, sie hat sich einfach mitreißen lassen. Sie hatte eine Neigung, sich auf so eine Art mitreißen zu lassen.«
»Auf so eine Art? Was meinen Sie damit? « fragte Michael scharf. »Wo sonst sehen sie noch ›so eine Art‹?«
»Na ja, vielleicht nicht genau so, aber Sie haben ihren Eifer ja mitbekommen. Lesen Sie doch mal ihre anderen Sachen.«
»Das habe ich getan«, sagte Michael. »Aber solche Vorwürfe habe ich sonst nicht gefunden. Nirgendwo.«
»Dann schauen Sie doch mal in die älteren Bulletins, und Sie werden sehen, daß sie jede Woche mit so etwas an kam ...«
»Ja, aber stellen wir uns doch mal vor, was sie auf diesen Abschnitt gebracht haben könnte.«
Mojsch dachte lange nach. »Keine Ahnung«, sagte er dann. »Wirklich, ich habe keine Ahnung. Überhaupt das ›Verkaufen‹, ich verstehe das nicht.«
Es wurde an die Tür geklopft, und ein Mann mittleren Alters trat herein, fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirnglatze und sagte: »Was ist los? Hier bin ich.«
»Kaffee?« fragte Mojsch den Mann, der einen Stuhl aus der Zimmerecke herbeizog und sich schwerfällig hinsetzte.
»Warum nicht? Kaffee kann ich immer trinken. Und wenn ich schon da bin ...« Mischa lächelte und entblößte eine Zahnlücke. »Schwarz, ohne alles.«
Mojsch stand auf und ging zu der Ecke, wo der elektrische Wasserkocher stand, ein altes Gerät, dessen Stromkabel mit abgerissenen Klebebändern geflickt war.
»Das Kabel da taugt nichts, du brauchst neues Isolierband«, sagte Mischa, stand auf und trat neben Mojsch. Er wischte sich die Hände an seiner langen Arbeitshose ab und griff nach dem Kabel. »Du kannst dir einen Schlag holen«, warnte er, »man muß das richten. Ich verstehe dich nicht, da habt ihr eine vollautomatische Telefonanlage und könnt euch nicht mal eine Kaffeemaschine besorgen?«
»Ich hatte eine, aber sie ist kaputtgegangen«, entschuldigte sich Mojsch. »Ich habe sie repariert, aber vergessen herzubringen.«
Mischa setzte sich wieder hin. Verlegen stellte ihm Mojsch Michael Ochajon vor.
Mischa konnte ein sensationslüsternes Funkeln in den Augen nicht verbergen, das im Gegensatz zu seinem ernsten Gesicht stand. »Also, was wollt ihr über dieses Seminar wissen?« fragte er nach ein paar gemurmelten Worten über die Tragödie. (»Eine Katastrophe für uns alle, für die ganze Kibbuzbewegung.«)
Michael erkundigte sich ausführlich nach dem Verlauf des Seminars, an dem Osnat wirklich als einzige Vertreterin ihres Kibbuz teilgenommen hatte. Dann, um sich zu versichern, daß er alles richtig verstanden hatte, fragte er: »Es handelte sich also um ein Forum, bei dem es um allgemeine Prinzipien ging und darum, deren Anwendung auf einzelne Situationen in den verschiedenen Kibbuzim zu diskutieren und zu beurteilen, stimmt das so?«
Mischa nickte. »Es gibt auch einen gesellschaftlichen Aspekt. Es tut gut, wenn man seine Ideen und Methoden austauscht, das hilft uns, daß wir uns als Teile einer gemeinsamen Bewegung fühlen, und gemeinsam Mittag zu essen ist auch schön, man trifft alle.«
»Erinnern Sie sich, ob es etwas Besonderes gab?
Weitere Kostenlose Bücher