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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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empfinden. Noch vor Sonnenaufgang verließ er den Kibbuz wieder durch das hintere Tor, das eigentlich verschlossen sein sollte, um Wächter zu sparen, doch jedesmal fand er, sowohl bei seiner Ankunft als auch morgens, wenn er wegging, die große Eisenkette locker und schaukelnd am Tor hängen. Er öffnete es, um hinauszufahren, dann stieg er noch einmal aus, um es zu schließen.
    Beim ersten Mal, als er gekommen war, hatte Osnat sich beiläufig erkundigt, ob ihn jemand gesehen habe. Er hatte sich mit einem Gefühl des Unbehagens an die Silhouette erinnert, die hinter der letzten Häuserreihe hervorgekommen war, hatte aber trotzdem den Kopf geschüttelt. Man hätte ihn ohnehin in der Dunkelheit nicht erkennen können, im schwachen Licht der einzigen Laterne, die am Ende des Weges stand. Er selbst empfand nicht das Bedürfnis, bei seinen Besuchen im Kibbuz besonders vorsichtig zu sein, schließlich hätte er immer behaupten können, er wolle Mojsch besuchen, trotzdem beunruhigte ihn die Gestalt, die jedesmal, wenn seine einsamen Schritte auf dem asphaltierten Weg zu hören waren, hinter dem Haus auftauchte. Einmal, bei seinem vierten Besuch, sah er sogar eine magere Gestalt in kurzen Hosen, die mit jungenhaften Bewegungen um die Wegbiegung rannte und verschwand. Er wußte nicht, ob es sich um dieselbe Person handelte, doch er erwähnte den Vorfall Osnat gegenüber nicht. Er wollte nicht die Ängste in ihr wecken, die er ihr anmerkte, wenn sie ihn betont gleichgültig immer wieder fragte, ob ihn jemand bei seiner Ankunft gesehen habe. Er verlangte keine Erklärung, denn sie hatte schon immer auf geradezu fanatische Art ihre Privatsphäre verteidigt. Sogar im Kinderhaus hatte sie immer das Zimmer am Flurende verlangt, das Bett in der Ecke.
    Jetzt zog sie immer die schweren Vorhänge vor, schloß die Fenster und drehte die Klimaanlage auf, damit deren Lärm verbarg, was im Zimmer vor sich ging. Ihre Zimmertür pflegte sie abzuschließen, selbst wenn sie sich im Raum befand. Die neue Sitte im Kibbuz, das Zimmer abzuschließen, war ihm bereits bei seinem Besuch an Schawu'ot aufge fallen. Mojsch hatte seinen erstaunten Blick mit einem Schulterzucken beantwortet und gesagt: »Es hat hier schon Diebstähle gegeben, von Leuten von draußen.« Dann hatte er, offenbar peinlich berührt, den Schlüssel unter einen Stein des Mäuerchens geschoben, das den kleinen Garten vor dem Haus umgab. Aber vorher, noch bevor sie sich auf den Weg zum Festplatz machten, hatten einige Leute an Mojschs Tür geklopft und sie geöffnet, ohne sein »Ja« abzuwarten. Mojsch schien seine Privatsphäre nicht so streng zu wahren wie Osnat.
    Aharon erinnerte sich noch gut an ihr anhaltendes Quengeln, als sie damals im Kinderhaus einen kleinen Schrank mit einem Schlüssel wollte. Tagelang war sie Jedidja nachgelaufen, dem Hausmeister, und hatte um »so ein kleines Schränkchen mit Schlüssel« gebettelt. Neben dem Geräteschuppen hatte Jedidja alle möglichen alten Sachen gesammelt, die er wunderbar wieder herrichtete. Als Osnat bekommen hatte, was sie wollte, und der kleine braune Schrank neben ihrem Bett stand, hatte Hadas eine Klassendiskussion über dieses Thema gefordert. Sie waren damals erst elf Jahre alt gewesen, erinnerte sich Aharon nun mit einem Lächeln, und trotzdem glich diese Diskussion schon einer offiziellen Sicha der erwachsenen Kibbuzmitglieder. »Sie ist mißtrauisch gegen jeden, sie vertraut uns nicht«, hatte Hadas bei dieser Diskussion gesagt und beim Sprechen ihren langen Zopf zurückgeworfen. Was sonst noch gesprochen wurde, wußte Aharon nicht mehr, er erinnerte sich nur noch an Dworkas behutsame und freundliche Art, an ihren warmen Blick, als sie Osnat fragte, ob sie der Gruppe erklären wolle, um was es ihr ging. Und an Osnats Schweigen. Ein hartnäckiges Schweigen mit gesenktem Blick. Erst nach langer Zeit, während elf Augenpaare auf sie gerichtet waren, sagte sie endlich verteidigend, fast verzwei felt: »Ich brauche das.« Mehr nicht. Nun fingen alle an zu schimpfen, und ein Boykott gegen sie wurde verkündet – ein Boykott, den nur er selbst brach, was zu weiteren Diskussionen führte.
    Eines Nachts wurde der bewußte kleine Schrank aufgebrochen und sein Inhalt auf dem Boden verstreut, beschriebene Blätter, vergilbte Fotos, eine getrocknete Blume, ein Fläschchen Parfüm, ein kaputtes Armband, das Osnat nie getragen hatte und dessen Glieder aus einem leichten, silbrig aussehenden Metall bestanden, Schwarzweißfotos von

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