Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
beobachtete, wie sich Dafna, seine Frau, langsam von ihm entfernte, und er kämpfte nicht mal dagegen an. In den letzten Jahren hatten sie so gut wie keine sexuelle Beziehung mehr, und als er Mitglied der Knesset geworden war, nahm er dankbar jede Möglichkeit wahr, in Jerusalem zu übernachten. Wenn sich ihm ein sexuelles Abenteuer anbot, wich er aus, denn er hatte das Gefühl, auf diesem Gebiet nichts bieten zu können.
Nur in zwei Fällen hatte er die Angebote angenommen, mehr aus Furcht, sie zurückzuweisen, als aus einem wirklichen Bedürfnis heraus. Nie hatte er sich frei gefühlt, immer gezwungen, körperlich unwohl, ängstlich und unsicher dem gegenüber, was von ihm erwartet wurde. Immer hatte er sich grobschlächtig und schwerfällig gefühlt, und das allmähliche Dünnwerden seiner Haare hatte er für einen Prozeß gehalten, der ohnehin unweigerlich zu einem Verzicht auf Sexualität führte. Weil er sich körperlich nicht betätigte, fand er seinen Körper schlaff, und er vermied es, in den Spiegel zu schauen. Er mochte auch sein Gesicht nicht, das eine Art passiver Sturheit ausdrückte. Die wenigen Male, die erotische Phantasien in seinem Kopf auftauchten, schüttelte er sich und gab sich alle Mühe, sie zu verdrängen. An Träume versuchte er sich nicht zu erinnern.
In den ersten Jahren seiner Arbeit in der Rechtsanwaltskanzlei, die Dafnas Vater gehörte, war er die meiste Zeit so angespannt, daß er selten dazu kam, an etwas anderes zu denken. Eigentlich war er Dafna dankbar dafür, daß sie sich als so wenig fordernd erwies. Er gewöhnte sich daran, sich selbst als einen bescheidenen Menschen zu betrachten, der sich mit Wenigem zufriedengab, und alles, was blieb, war eine fast abstrakte Sehnsucht nach Osnat, symbolisiert durch zwei kleine, hilflose Hände. Er sehnte sich nach der traurigen Einsamkeit, die sie in ihrer Kindheit vereint hatte, der Gemeinsamkeit des Schicksals, das ihn mit niemandem als ihr verband. Jedesmal, wenn er nun vor Sonnenaufgang ihr Zimmer verließ, nach einer Nacht ohne Schlaf (er war zu angespannt, um einschlafen zu können), hatte er das unangenehme Gefühl, eine Gelegenheit verpaßt zu haben. Eine Art Bitterkeit stieg dann tief aus seinem Bauch in ihm auf, weil er nicht gefunden hatte, was er suchte. Was das war, hätte er allerdings auch nicht benennen können. Doch ihm war klar, daß er sich eine weniger vorsichtige Beziehung erhofft hatte. Er wollte sich daheim fühlen und nicht stän dig aufpassen müssen, daß ihm ja kein falsches Wort über die Lippen kam.
Beim ersten Mal, als er hergekommen war, hatte es ihm vor Aufregung fast die Luft abgeschnürt. Er hatte sein Auto, ohne den Grund dafür zu verstehen, auf dem abgelegenen Platz geparkt, weil sie ihn darum gebeten hatte. Sie hatte auch gewünscht, daß er spät abends kam. »Wie spät?« hatte er gefragt, und sie hatte geantwortet: »Am besten nach zehn, wenn es dunkel ist, damit wir Ruhe haben. Sonst würdest du auf mich warten müssen.«
Er kam früher und wartete. Er fand den Schlüssel an dem angegebenen Platz, betrat ihr Zimmer, setzte sich hin und blieb wie erstarrt sitzen, wagte noch nicht einmal, sich umzuschauen oder im Bücherregal herumzustöbern. In einem großen Strohkorb in einer Ecke des Zimmers entdeckte er ein paar alte Ausgaben des Kulturmagazins der Kibbuzbewegung und blätterte in ihnen herum.
Als Osnat kam, sah sie müde und abgespannt aus, und an ihrem Gesicht waren deutlich die Spuren ihres Alters zu erkennen. Sie hielt ihm einen langen Vortrag über ihre Pläne zur Veränderung des Kibbuz. Formulierungen wie »mit der Zeit gehen«, »wirtschaftliche Mittel«, »Anachronismus«, die er in den Ausschüssen der Knesset zu hören gewöhnt war, kamen mit erstaunlich naivem Ernst aus ihrem Mund. Sie sprach über »die Betonung des einzelnen« als Vorausset zung für das Fortbestehen der Kibbuzim im einundzwanzigsten Jahrhundert. »Die Vision des neuen Kibbuz«, zitierte sie aus einem Vortrag, den sie bei einem Seminar in Giw'at Chawiwa gehört hatte, »ist die einer gleichberechtigten Elite.« Sie sprach über »neue Wertvorstellungen« und wiederholte mehrere Male das Wort »Konzeption«.
Aharon war müde, und allmählich fühlte er sich auch gelangweilt. »Da gibt es nichts zu diskutieren«, sagte Os nat, »ich werde eine Mehrheit bekommen, und nicht nur von den Chawerim unseres Alters. Ein Teil der Alten ist begeistert von dieser Idee. Jedenfalls ist es eine Überlebensfrage. Änderungen
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